Alles hat seinen Platz! Wie ich mich in meiner Wohnung organisiere

Ich habe euch erklärt, was ein Nystagmus ist und wie er mein Sehen einschränkt. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf meinen Alltag. Ordnung und Kommunikation stehen für mich an oberster Stelle. Das war nicht immer so. Um ehrlich zu sein, wurde ich vom Chaosfreak zum Ordnungsfreak.

Vor meiner Hirnblutung existierte so etwas wie Ordnung für mich nicht. Kleidungsstücke lagen verteilt im Zimmer, und auf dem Schreibtisch herrschte ein Zettel-Chaos. Die Seheinschränkung hat aber so einiges verändert. Und dass ich wegen einer linksseitigen Spastik alles mehr oder weniger nur mit einem Arm bewältigen muss, macht das Ganze nicht einfacher. So organisiere ich mein direktes Wohnumfeld, um mich darin zurechtzufinden.

Kleiderschrank:

Zusammen mit einer Assistentin habe ich Fotos im Schrank über jeden Klamottenstapel und an jede Schublade geklebt. Die Fotos zeigen, was dort liegt und sind zusätzlich beschriftet. Von Kurz- bis Langarm ist alles dabei. Das gleiche gilt für Socken, Unterwäsche oder Sportkleidung. Die Bilder dienen nicht nur mir zur Orientierung, sondern auch mal einem freiwilligen Helfer, um die zusammengefalteten Klamotten an den richtigen Ort in den Schrank zu legen. Wenn ich das selbst machen würde, würden die Klamotten halb zerknüllt im Schrank liegen.

Schreibtisch/Nachttisch:

Meine Assistenz geht mit mir zusammen die Post durch und legt sie mir dann in Ablagen; erledigte Unterlagen werden zur Aufbewahrung im Ordner abgeheftet, und die Ordner sind sorgfältig beschriftet. Alles hat seinen festen Platz, sei es der Locher auf dem Schreibtisch oder die Schale auf meinen Nachttisch, wo immer Geldbeutel, Schlüssel, Handy liegen. Legt eine Assistentin die Sachen an einen anderen Ort, ohne es mir zu sagen, ist mein kompletter Alltag gestört; ich komme aus dem Konzept und irre in der Wohnung herum, um die Sachen wiederzufinden.

Küche:

In der Küche das gleiche Spiel. Geschirr, Besteck, Messerblock oder andere Küchenutensilien müssen an ihrem Platz sein. Ich kann mich selbst in gewohnten Umgebungen nicht so schnell umorientieren, dass ich die Dinge finden würde, wenn sie woanders liegen.

Erkenntnis: Nur mit einem eingespielten Team, das mitdenkt, schaffe ich es, Ordnung zu halten. Die AssistentInnen sind meine Arme und meine Augen zugleich. Ich dirigiere, und sie führen aus. Nur so und nicht anders funktioniert es.

Allerdings durfte ich feststellen, dass es den Normalos unheimlich schwer fällt, sich daran zu halten. So wie Kommunikation nicht gleich Kommunikation ist.

Für Sehende und erst recht für Menschen mit Seheinschränkung ist klare zwischenmenschliche Kommunikation das A und O. Ich gebe Euch einen Überblick, was ich an Körpersprache überhaupt wahrnehmen kann und welche Verhaltensweisen für mich wichtig sind.

Gestik und Mimik:

Aus einer Distanz von 3 – 5 Metern ist es mir kaum möglich, Personen zu erkennen. Ob Mann oder Frau, ob ein Lächeln auf dem Gesicht liegt, mir ein Blick geschenkt wird, mir jemand ein Handzeichen gibt oder telefoniert, sehe ich erstmal nicht. All das spielt aber für das Thema Kommunikation eine sehr große Rolle. Es ist wichtig, mir solche Dinge auf verbaler Ebene mitzuteilen. Wer sich mir von rechts oder links nähert, sollte sich mit Namen ankündigen beziehungsweise sich bemerkbar machen. Das liegt unter anderem auch an meinem eingeschränkten Gesichtsfeld.

Diskussionsrunden:

Bei Geburtstagsfeiern, Kneipentouren oder andere Feiern/Veranstaltungen fällt mir immer wieder auf, was für eine Herausforderung es ist, den Gesprächen zu folgen. Welche Person spricht gerade, wer sitzt wo? In solchen Situationen ist es hilfreich, mir zu sagen, welche Person rechts, links, gegenüber von mir sitzt. Es hilft mir nicht, wenn jemand die Beschreibungen da, hier, dort verwendet. Präziser ist zum Beispiel: „Rechts von dir steht Torsten und links gegenüber die Mila.“ Mit dem Arm in die die entsprechende Richtung zu zeigen, kann zur Unterstützung beitragen, da ich in der Nähe relativ gut sehe. In Eins-zu-Eins-Gesprächen oder in einer Dreiergruppe ist es für mich weniger problematisch, mich ohne Hilfe zu orientieren. Was mir seit meiner Seh-Einschränkung stark auffällt, ist, dass die Leute sich kaum noch mit Namen ansprechen. Stattdessen heißen die Leute „Hey“, „Na du“, „Wie geht’s?“ oder es wird eben einfach drauflos gequasselt. Alle fokussieren sich so auf das Sehen, dass die richtige Kommunikation in den Hintergrund gerät.

Unterwegs im Freien und in Räumen:

In gewohnten Räumen, wo ich schon mehr als einmal gewesen bin, finde ich mich schnell zurecht. Das können Räume sein wie meine Wohnung, Arztpraxen oder ein Hotel, wenn ich auf Reisen bin. Draußen hingegen bin ich voll auf meine Begleitperson angewiesen. Mich zu orientieren, zu wissen wo wir jetzt genau in einer Stadt sind, ist sehr anstrengend für mich. Bei einem eintrainierten Weg oder bekannten Ort ist das wieder was ganz anderes. Deshalb bin ich auf meine Assistentinnen und Assistenten angewiesen, die mir im Alltag und auf Reisen helfen.

Mein Nystagmus und wie ich die Welt sehe

Ich bin sehend zur Welt gekommen. Seit meinem 22. Lebensjahr bin ich seheingeschränkt. Der Grund ist mein Nystagmus, eine Augenerkrankung. Ich habe ihn seit meiner Gehirnblutung 2012. Er verändert seitdem die Art, wie ich alles um mich herum wahrnehme.

Vorweg sei gesagt: Seheinschränkung ist nicht gleich Seheinschränkung. Das gleiche gilt für die Blindheit. Jede Sehbehinderung ist individuell, so wie es unterschiedliche Charaktere gibt.

Das bezieht sich übrigens auf alle Arten von Einschränkungen.

Also, was ist ein Nystagmus?

Ich beschreibe es gern als Augenzittern. Medizinisch gesehen kommt das von den Schäden der Blutung in meinem Gehirn.

Wie ich meine Umgebung wahrnehme:

Objekte ab einem Abstand von 3-4 Metern sehe ich so verschwommen, dass ich sie nur noch als unscharfe Flächen erkenne. Dies liegt aber je nach Tagesform an der Unruhe der Augen.
Objekte wie Schilder und Werbetafeln in 5-10 Meter Entfernung werden nur anhand von Formen und Farben erkennbar. Die Schrift jedoch kann ich nicht lesen. Um Schriften zu lesen, sind schon Abstände von zwei Metern problematisch.

Durch die verringerte Sehschärfe ist das Erkennen von Objekten bei mir erschwert. Das eingeschränkte Gesichtsfeld führt dazu, dass ich Bildobjekte nur bruchstückhaft erkenne. Aus diesem Grund muss ich zum Beispiel am Computerbildschirm oder am Handy Objekte extrem vergrößern, um Details zu erkennen, oder verkleinert, um das große Ganze zu sehen. Wie sich die Seheinschränkung im Alltag bemerkbar macht und wie sie Einfluss auf Orientierung und Wahrnehmung hat, erläutere ich euch anhand von Beispielen in einem weiteren Blogartikel.

Der Sound in meinen Kopf

Musik beeinflusst meine Gefühlswelt. Von einer Minute zur anderen ist die Welt wieder im Lot.

Musik ist ein guter Freund, ein Seelentröster und Ratgeber.

Deutscher Pop, Hip Hop und Rock beflügeln meine Seele. In so manchen Downphasen waren sie der Rettungsring auf hoher See.

Niedergeschmettert, am Boden.
Eingesperrt wie in einem Hundezwinger.
Keine Chance auf ein erfülltes Leben.

SDP begleiteten mich mit ihrem Songtext „Kein Wort“. Er fing mich auf und spiegelte mein Seelenleben wider.

Höre hier den Song „Kein Wort“ bei Youtube an

Ich erinnere mich an eine Zeit, in der ich mich selbst bemitleidete, am Boden kauerte, Tränen liefen über meine Wange und es fühlte sich so an, als gäbe es keinen Ausweg aus dem Wohnheim hinaus.

Bei dem Song „Klopf, klopf‘‘ schlüpften Vincent und Dag in die Rolle der Superhelden. Er war wichtig für mich als ich mich in der Ausbildung von niemandem verstanden fühlte. Vincents und Dags Text sagt:

„Es macht klopf klopf an deiner Tür,
klopf klopf,
wir sind wieder hier,
besser du lässt uns rein
oder wir brechen ein.“

Das Raumschiff holt mich hier raus.
Ich machte mich aus dem Staub und schließ mein altes Leben hinter mir. Hauptsache weit, weit weg von hier.

Der Sound von „So schön kaputt“ und „Unikat“ dringt in mein Ohr. Erinneren mich zurück an die Zeit, als die Pfunde stetig abnahmen und ich immer dünner wurde. Als ich begann, mein Selbstwertgefühl von meiner Figur abhängig zu machen. Als die Stille ein Teil von mir wurde und mir das Messer lachend entgegen sprang.

Heute wird mir langsam bewusst das all der Schmerz, all die Widrigkeiten und all die Wut mir halfen, mich weiterzuentwickeln.

Mit Jennifer Rostock klettere ich den „Himalaya“  wieder rauf. Greife mir endlich „Mein Mikrofon“ und lernte, mich von meinen Lebensumständen nicht unterkriegen zu lassen. Ihre bunten, facettenreichen Texte berühren mich nach all den Jahren immer noch sehr und gehen mir unter die Haut.

Dieses Jahr ist das Jahr der Veränderung. Endlich will ich die Vergangenheit ruhen lassen.

Sonnenstrahlen zeigen mir den Weg.
Die Freiheit ruft, seit Langem wieder unbeschwert, und wenn nichts mehr geht, dreh ich die Musik ganz laut, damit meine Seele fliegt. Und für ein paar Minuten steht mein Leben auf Stand-by.

Mein Alltag damals und heute im Jahr 2022

Etliche Ehrenamtliche sind mir in mein Leben in den letzten 5 Jahren eine Stütze gewesen. Die einen mehr, die anderen weniger. Besonders Rina, die mich 3 Jahre lang begleitete, meine Entwicklung miterlebte und mich tatkräftig unterstützte.

Seit 5 Jahren werden die Ehrenamtlichen von meinen Eltern finanziert. Sie helfen mir bei vielen Sachen, zum Beispiel im Haushalt, bei Erledigungen, begleiten mich zum Sport oder in der Freizeit. Für diese Dienstleistungen zahlen meine Eltern monatlich mehrere Hundert Euro.

Zu Beginn des Jahres 2017 fing es mit den Ehrenamtlichen an, damals ging es nur um Freizeitbeschäftigung. Endlich raus und etwas zu unternehmen. Nichtsdestotrotz machte ich in dieser Phase die Erfahrung, dass es immer noch Schwachpunkte in meinem Alltag gab. Nichts war in Ordnung.

Die Werkstatt schlauchte, und die Wäsche blieb liegen. Alles habe ich mit der rechten Hand bewerkstelligt. Der Wäschekorb kam auf den Servierwagen, die Kleidung in den Korb und dann fuhr ich mit dem Fahrstuhl hinab in den Waschraum. Um die Angaben auf dem Display an der Maschine lesen zu können, trat ich so dicht an die Maschine, dass meine Augen beinahe rausflogen und meine Nase ganz plattgedrückt wurde. Beim Versuch, den Wäscheständer aufzustellen, knallte er erst ein paar Mal auf den Boden, bevor es endlich klappte. Schlussendlich schaffte ich es, die Kleidung aufzuhängen und später zerknüllt in den Kleiderschrank zu legen. Schön ist anders!

Mir im Wohnheim, wenn ich neuen Sprudel brauchte, die einzelnen Flaschen zu holen, statt dass mir jemand einen neuen Kasten tragen half, gab mir den Rest. Als ich im Oktober 2019 aus einem Wohnheimzimmer in ein Apartment innerhalb des Wohnheims gezogen bin, waren die Ehrenamtlichen die Rettung für mich.

In dieser Etappe meines Lebens wurde ich auf die vegane Ernährung aufmerksam und fing an, Sport zu machen. Durch Rina lernte ich Dietrich kennen, der ab sofort mit mir Schwimmen und Laufen gehen und das Kochen übernehmen sollte. Zwei mal die Woche brach ich ins Hallenbad zum Schwimmen auf, erkundete regelmäßig die Natur, kochte ausgiebig und genoss die Auslastung meines Körpers nach dem Sport. Wenngleich beim Kochen einiges nicht ganz rund verlief, bereitete es mir Freude.

Die Herausforderung dabei war: Um das Gemüse zu schnippeln, muss ich mich nah ans Messer beugen, um möglichst gut zu sehen. Ich sitze mit gebückter Körperhaltung da. Der Ablauf bereitete mir furchtbare Rückenschmerzen, wodurch das Kochen auf Dauer nicht mehr so berauschend war. Dietrich verbrachte die Zeit abgesehen vom Gemüseschneiden hauptsächlich am Herd. Dietrich kochte profihaft im Vergleich zu seinen Nachfolgern, die mir begegnet sind.

Sobald ich in der Küche allein am Werk war, sah das ganze komplett anders aus! Verbranntes Essen auf dem Herd, brodelndes Wasser, das überkochte. Auch der Feuermelder war häufig  im Einsatz.  Eine Reihe von Töpfen und Pfannen im Auge zu behalten , verlangte  mir einiges ab. Erst wenn alles schon zu spät war, bemerkte ich, dass das Wasser überkochte. Es spritzte  von allen Seiten.

Mit Ach und Krach konnte ich mit der rechten Hand den Topf vom Herd ziehen. Doch der Schock stand mir ins Gesicht geschrieben. Auch wenn mich die Lust auf Pfannkuchen packte, brannte bereits beim zweiten Durchgang der Teig an.  Der Feueralarm läutete, und alle Bewohner durften erstmal das Gebäude verlassen.

In meinem Team der Ehrenamtlichen kommt es natürlich immer mal wieder zu einem Wechsel infolge eines stressigen Studiums, eines Umzugs oder sonstiger geänderter Lebensumstände.

Durch Corona ist es viel schwieriger geworden, an neue Leute zu kommen. Währenddessen kassiert das Wohnheim weiterhin für mein Zimmer eine hohe Summe, und die Mitarbeiter machen das für mich, was sie am besten können, nämlich NICHTS.

Seit 2016 wohne ich in dem Wohnheim. Durch die Ehrenamtlichen geht es mir zwar psychisch etwas besser als in der Zeit, als ich noch selbstverletzendes Verhalten (SVV) an den Tag gelegt habe. Dennoch bekomme ich hin und wieder das Heulen. Viele Leute wünschen sich, mal nichts zu tun zu haben, ich wünsche mir nichts sehnlicher als zu arbeiten, mich auszuleben und zwar nach meinen Vorstellungen. Meine Nerven liegen öfters blank, wenn Ehrenamtliche plötzlich ausfallen, weil sei krank sind, auf der Arbeit für Kollegen einspringen oder sich auf eine Prüfung im Studium vorbereiten müssen. Wenn zum Beispiel ein Termin zum gemeinsamen Kochen geplatzt ist, kann es auch passieren, dass nichts zum Essen für mich da ist.

Schließlich läuft die Beauftragung noch nicht über das persönliche Budget (dazu berichte ich in einem nächsten Blogeintrag mehr) und nicht jede/r freiwillige Helfer/in ist gleich engagiert. Es gehört auch ein Quäntchen Glück dazu, die richtigen Leute zu finden.

Jetzt im Jahr 2022 besteht das Team aus sieben Leuten. Unterstützung erhalte ich bei Alltags- und Freizeitgestaltung und im Bereich Management. Ich mache mit einer Ehrenamtlichen den Dienstplan für den ganzen Monat, bestelle meine Lebensmittel mit ihr in einem Supermarkt, erledige Behördenangelegenheiten mit ihr und erhalte Unterstützung bei der Wohnungssuche – also Hilfe im ganz normalen Wahnsinn des Alltags.

Vier Leute vom Team unterstützen mich im Haushalt (vor allem beim Kochen)  und begleiten mich in der Freizeit.

Die letzten beiden sind aktiv beim Sport dabei, was Schwimmen und Wandern betrifft, sowie bei der Gestaltung meines Blogs.

Das alles so zu organisieren, war nicht einfach. Aber sehr wichtig für mich. Aufgeben kommt  für mich nicht infrage. Ende 2021/Anfang 2022 bin ich auf der Suche nach einem neuen zu Hause. Das könnte ein inklusives Wohnprojekt oder eine stinknormalen WG sein. Am liebsten in einer Großstadt.

Sollte ich dieses Ziel bis Anfang 2023 nicht erreicht haben, werden mir die Gelder gestrichten – und ob ich will oder nicht, ginge es dann zurück nach Hause zu Mami und Dady. Mit 32 ist das alles andere als ne geile Sache! Das wäre für mich der absolute Super-GAU.

Mit viel Glück komme ich endlich aus dem Wohnheim raus – und parallel werde ich eine Schulung beginnen. Die mich hoffentlich auch beruflich voran bringt.

Festival in vollem Gange!

Die Besucher strömen dem Sound entgegen, der vom Festivalgelände zu hören ist. Sie sind bunt gekleidet und super drauf – ganz anders als ich viele Menschen im Alltag erlebe. An fast jedem Essensstand, wo es Fritten, Wraps und sonstige Leckereien gab, stehen die Leute Schlange und warten voller Ungeduld bis sie an der Reihe sind.
Sonnenlicht dringt in jede einzelne Pore meiner Haut. Der Strohhut ist seit dem allerersten Festival mein treuer Begleiter.

Damals auf dem Happiness-Festival in Straubenhardt begegnete mir Jack. Ich saß im Rollstuhl wie jedes Jahr, wenn ich bei Festivals am Start bin. Im Normalfall bin ich zu Fuß unterwegs. Statt Blindenstock leiht mir meine Begleitpersonen die Schulter zum Festhalten. Seheinschränkung plus Gleichgewichtsprobleme das kann schon mal je nach Situation heikel werden.
Auf Festivals dient mir der Rollstuhl dazu, um schneller zu den Behinderten-Tribünen zu gelangen. Außerdem kann ich definitiv keine 2-3 Stunden am Stück stehen, während auf der Konzert-Bühne die Post ab geht.

Bei einem gemeinsamen Bier erzählte mir Jack von seiner Schwester, die das Down-Syndrom hat. Er ermutige sie immer wieder dazu, mehr raus zu gehen, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Aus dem Grund finde er es auch so toll, dass ich hier sei. Trotz Handicap, verstehe sich.
WIESO betonen die Normalos das immer? Denken die, es fühlt sich gut an, auf seine Behinderung reduziert zu werden?
Er hätte doch einfach sagen können: ,,Schön, dass du mitfeierst!‘‘

Erst Hirn einschalten und dann sprechen, ist wohl zu viel verlangt.

Der Duft von Pommes steigt in meine Nase, als mir Rina die Fritten auf den Schoß legt. ,, Kann’s losgehen?‘‘, fragt sie.
Die Frage reißt mich wieder aus meiner Gedankenwelt ins Hier und Jetzt.

Denn in diesem Moment sind wir auf dem Festival Rock am Ring. Also, los gehts!

Rina, die genauso ein Faible für Festivals hat wie ich, hat einfach alles im Griff. Sie sieht und hört alles.

Wir zwängen uns durch die Menschenmasse und bahnen uns den Weg in Richtung Behinderten-Tribünen. Auf dem gesamten Festivalplatz dröhnt Musik aus den Boxen, die breite Masse jubelt, betrinkt sich und ist in Feierlaune. Es ist herrlich!

Auf der Tribünen angelangt, schiebt mich Rina die Rampe hoch. Fast nur Rollifahrer vor Ort, die kaum was von der Bühne sehen und eher durch die Gitterstäbe blicken. Zumindest stelle ich es mir so vor.
Zum Glück kann ich mich frei bewegen und brauche nicht ständig im Rolli zu sitzen.

Es treten SDP auf die Bühne und heizen den Leuten erstmal richtig ein, bevor sie ihre Songs zum Besten geben.

Die Öffentlichkeit tobt, singt aus vollem Halse mit und bewegt sich zum Rhythmus. Von der Bühne sehe ich kaum etwas, selbst die großen Bildschirme, die rechts und links befestigt waren, bringen nicht viel.

Ich nehme ein paar Bildfetzen wahr, die Lichter vom Monitor und die Scheinwerfer, die die Bühne zum Leuchten bringen. Ich tanze im Tankt und lausche dem Klang der Stimmen von Vincent und Dag. Ich mag die Passage mit der tiefen Stimmlage von Dag am meisten, und Vincents Talent fürs Entertainment.

Unter anderem treten im Lauf des Festivals noch Alligatoah, Die Ärzte , Kontra K und andere auf.

Auf dem Festivalplatz sucheen wir uns ein schattiges Plätzchen, um der glühende Hitze für einen Augenblick lang zu entkommen.

Während Rina uns was zum trinken holt, beobachte ich das Treiben der Menschenmassen. Wobei ich nur den Teil regestrierte, der direkt vor mir in Sichtweite ist. Was sich rechts und links von mir abspielt, bemerke ich durch mein eingeschränktes Gesichtsfeld überhaupt nicht. Dazu muss ich dann wirklich meinen Kopf in die dementsprechende Richtung bewegen.

So sehe ich erst in letzter Sekunde den leicht angetrunkenen Kerl, der seine Hand ausstreckte und mir im Vorbeilaufen ein High Five schenkt.

Ich erschreckte mich. Rina kommt mit den Getränken in beiden Händen.

Entspannt trinken wir unsere Becher leer und wollen schon zum nächsten Auftritt, als ein Mädchen in Hotpants, die untenherum ganz ausgefranst waren, auf mich zukommt. An dem Tag trug ich ein zierliches Sommerkleid mit einem Mandala Muster das mit roten Blüten versehen war und dunkleblaue Punkte in der Mitte der Blüten hatten.

Das Mädchen bittet darum, ein Foto von mir, ihr und Rina machen zu dürfen. Ihr Freund schnappt sich die Kamera und schießt ein Bild von uns dreien. Das Mädchen bedankt sich und zieht mit ihrem Freund weiter.

Ich nehme solche Dinge erst wahr, wenn Rina mich darauf aufmerksam macht, oder wenn die Person direkt vor mir steht und mich anspricht. Wenn die Person zum Beispiel von links kommt, sollte sie sich erst mal ankündigen, sich mit Namen vorstellen – und dann können wir ins Gespräch kommen.

Nach einigen Konzerten geht es ein letztes Mal in Richtung Zeltplatz.

Statt sich die Kante zu geben, gibt es alkoholfreie Getränke. Im Hirn hab ich eh schon nen Knacks – und Epileptiker-Medikamente plus Alkohol ist auch keine coole Sache.

Die Euphorie geht trotz allem nicht verloren. Die Leute in ihrem Rausch in ihren Zelten zu beobachten, wie sie saufen, torkeln, kotzen ist im nüchternen Zustand viel amüsanter.

Das bekommt selbst so ein Blindfisch wie ich mit.
Rina schildert ja teilweise das Geschehene im Einzelnen.

Das erinnert mich an das Southside Festival 2018.
Kein Plan, welche Band damals gespielt hat. Es gab auf jeden Fall ausgiebig Pizza. Während Rina was zum Bechern besorgte, verlor mein Gesicht immer mehr Farbe und mir wurde hundeelend. Ich musste brechen. Rina, die mittlerweile wieder bei mir war, holte einen der Sanitäter. Der war so schlau und erkundigte sich bei Rina, wie es mir ginge, und hilflos stellte er die Frage, was er denn machen solle. Rina verschränkte die Arme und wies mit einem strengen Blick darauf hin, mich gefälligst selber zu fragen, denn ich war schließlich ansprechbar.

Er stellte dieselbe Frage an mich und ich meinte bloß, dass ich aus der Menschenmasse raus wollte. Rina schnappte sich den Rollstuhl, und wir ließen den anscheinend komplett überforderten Sanitäter hinter uns.
Runter von der Tribühne musste ich plötzlich auf die Toilette. Ein Mann der hackedicht war, nuschelte wie leid es ihm tue, das sein Kumpel die Behinderten-Toilette blockierte. „Bin ich denn hier von Vollidioten umgeben?“, dachte ich mir in meinem so oder so bereits schlechten Zustand. Die Leute räumten den Weg frei und nach dem ganzen Durcheinander waren wir endlich abseits von der Menschenmenge.

Am Tag darauf lachten Rina und ich darüber. Wir scherzten, was für gute Sanitäter wir doch wären, und dass dieser Depp von gestern anscheinend seinen Beruf vollkommen verfehlt hat.

Zurück zum Festival Rock am Ring.

Wir lassen den letzten Abend gechillt ausklingen und am nächsten Tag brechen wir schwermütig unsere Zelte ab, verstauen das Gepäck im Auto und fahren nach Hause.

Jetzt, nach der Corona-Pandemie, hoffe ich, dass ich am 2.7.2022 auf das Tollwood-Festival nach München gehen kann.

Das Messer ist mein Freund!

ACHTUNG: IN DIESEM TEXT GEHT ES UM SELBSTSCHÄDIGENDES VERHALTEN. Wenn Du von diesem Verhalten betroffen bist, hole Dir Hilfe. Zu jeder Zeit kannst Du bei der Telefonseelsorge unter diesem Link Gesprächspartner in Krisensituationen erreichen.

Von der Außenwelt isoliert und gefangen wie ein Vogel im Käfig. Heul-Attacken 24 Stunden und ein ewiger Kampf, um auf hoher See nicht unterzugehen.

Ein Küchenmesser in der Hand, es folgt ein tiefer Schnitt, Blut fliest, kein Schmerz, nur pure Erleichterung und für einen Moment sind alle Sorgen wie weggespült.

So muss sich Freiheit anfühlen.

Monotone Aufgaben in der Behindertenwerkstatt ließ ich über mich ergehen. Das Herumschubsen der Betreuer, das Gefühl von Unverständnis war kaum zu ertragen.

Die Papierschere war nur der Anfang. Dieser ständige Teufelskreis aus kräftezehrenden Arbeitsaufträgen in der Werkstatt, die jedoch kaum eine zweckhafte Rolle für mich spielten. Nach außen strahlte ich Zufriedenheit aus, innerlich war ich leer und suchte verzweifelt den Sinn hinter dem Ganzen. Missmutig ging es mit dem Bus wieder zurück ins Wohnheim. Gefrustet und ohne Perspektive wartete ich auf den nächsten Tag.

Das Gefühl, nicht gehört zu werden, ließen mich zur Schere greifen. Oberflächliches Aufritzen der Haut lösten in mir das Gefühl von Unbeschwertheit aus, als ob mir eine große Last von den Schultern genommen worden sei. Ich dachte mir nicht viel dabei, wenn ich mich im Wohnheim oder in der Behindertenwerkstatt ins Badezimmer oder die Toilette schlich und mich mit der Schere ritzte. Eines war klar, es führte dazu, dass ich mich besser fühlte.

Es lief eine gewisse Zeit immer gleich ab, bis mir die Papierschere nicht mehr ausreichte. Still und heimlich holte ich mir ein kleines Küchenmesser und übte mehr Druck auf das Messer aus. Blutstropfen traten wie kleine Perlen hervor, ganz automatisch machte ich den nächsten Schnitt, diesmal nicht so zaghaft wie davor. Blut lief rechts und links am Unterarm entlang. Ich ritzte mich fast bis zum Ellenbogen hoch und nach einer Weile war es wie Zähneputzen, mich jeden Abend in die Küche zu schleichen und in leisen Schritten ins Badezimmer zu gehen, die Türe hinter mir zu verriegeln. Wenn alle schliefen, ging ich wieder auf mein Zimmer zurück. Die Ärmel vom Pullover wurden lang gezogen, übers Handgelenk bis zu den Fingerspitzen.

Allmählich suchte ich das Gespräch mit einem Azubi im Haus, der mir zuvor angeboten hatte, mit ihm zu reden, wenn mir danach ist. Wir gingen öfters spazieren od trafen uns in meinem Zimmer, um uns zu unterhalten. Oft bat er mich darum, das Ritzen zu unterlassen. Doch das bewirkte viel mehr das Gegenteil davon. Selbst das Schreiben half nur bedingt. Am späten Abend als ich mich wie gewohnt in die Küche schlich, glänzte mir ein größeres Küchenmesser entgegen. Ich dachte mir: „Wieso nicht!“. Ich zog es aus der Schublade, huschte ins Bad und zückte die Klinge.

Viel tiefer als sonst schnitt ich mir ins Fleisch. Blut floss über den Arm ins Waschbecken. Einige Tage darauf kam es zu einem Gespräch zu dritt. Ich, der Azubi und eine Betreuerin im Haus. Aufgewühlt und verwirrt hockte ich auf meinen Bett, während die Stimmen von außen auf mich einredeten. Es fiel das Wort Psychatrie, wo mir geholfen werden könne und ich zum jetzigen Augenblick am besten aufgehoben wäre.

Die Betreuerin begleitete mich zu meinem Termin bei meiner Neurologin, wo dann die Karten auf den Tisch kamen. Die Neurologin quasselte von Depressionen und brachte mich komplett raus. „Was hat Ritzen mit Depressionen zu tun?“, dachte ich mir. Kopflos nickte ich und stimmte zu. Zwei Tage später landete ich in der Psychatrie, und nach 4 Wochen Aufenthalt wurde ich endlich entlassen.

In dem Augenblick, als ich draußen war, Anfang 2017, wusste ich, dass eine Veränderung dringend notwendig war.

Auf die Betreuer im Wohnheim wollte ich nicht mehr angewiesen sein. Ich begab mich mit einer Ehrenamtlichen auf die Suche nach weiteren freiwilligen Helfern, um die Unterstützung im Alltag zu erhalten, die ich benötige. Das erste Mal wurde ich als Person ernst genommen und konnte über meine Bedürfnisse reden.

Wie Bildung Einfluss auf die Psyche hat

ACHTUNG: IN DIESEM TEXT GEHT ES UM SELBSTSCHÄDIGENDES VERHALTEN. Wenn Du von diesem Verhalten betroffen bist, hole Dir Hilfe. Zu jeder Zeit kannst Du bei der Telefonseelsorge unter diesem Link Gesprächspartner in Krisensituationen erreichen.

Am Anfang hoch motiviert und am Ende des Weges wird einem der Boden unter den Füßen weggerissen. Ein freier Fall ins Nichts, verschlungen von der Dunkelheit, wo niemand meine Tränen sieht.

In der Zeit meiner Ausbildung im Jahr 2015 zur Bürokraft in einem Berufsbildungswerk , die ich nach einem halben Jahr bereits abgebrochen habe, ist vieles zu Bruch gegangen. Da waren die endlosen Gespräche mit den Lehrern, die mich einiges an Nerven gekostet haben, nur um festzustellen, dass ich bei ihnen gegen eine Mauer laufe.

Ich saß damals im Unterricht mit zwei fetten Bildschirmen, einer zum Arbeiten und links von mir noch so ein fettes Teil wo die Bücher als PDF-Dateien vorhanden waren. Da es für mich schier unmöglich war, gleichzeitig am PC zu arbeiten, mir den Inhalt der Bücher zu merken, mir einen Überblick zu verschaffen bei einem Zoomfaktor von 70% bis 100% (damals noch über die Bildschirmlupe) und im selben Moment im Unterricht zuzuhören sowie Fragen zu beantworten, hat mich an meine Grenzen gebracht.

Immer seltener trat ich den Gang zur Cafeteria an, statt 70 kg wog ich nur noch 60 kg bei einer Größe von 1,83 m. Nach einigen Monaten schrie ich völlig gereizt meinen Lehrer an, der mich, nachdem alle Gespräche nichts gebracht hatten, fragte, ob er denn nicht helfen könne.

Ich konnte es nicht fassen: Seit Monaten schilderte ich den Lehrern, wo die Problematik bei mir liegt, und jetzt auf einmal fiel ihm ein, mich danach zu fragen. Eines Abends war es dann so weit. Ich nahm ein kleines Objekt von meinem Schreibtisch im Zimmer in den Mund, in der Hoffnung daran zu ersticken, was bedauerlicherweise schief lief, mir ein Gespräch bei der Psychologin einbrockte und letztlich zum Abbruch der Ausbildung führte.

Da meine Eltern zu diesem Zeitpunkt im Urlaub waren, holte mich meine Tante mit so viel Verständnis und Empathie zu sich nach Stuttgart. Als meine Eltern aus dem Urlaub zurück waren, hagelte es nur so von Vorwürfen. Wie ich nur so dünn werden konnte, dass es doch so ungesund sei, so wenig zu essen.

Mein Vater tobte vor Wut, weil ich  vom Thema Ausbildung nichts mehr wissen wollte. Ich jedoch wünschte ich mich weit weg und wollte von daheim ausziehen.

Mein Umzug – der Eingang zur Hölle

Ohne es zu wissen, betrat ich Ende 2016 den Eingang zur Hölle: Ich zog von zuhause in ein neues Wohnheim eines Sozialen Trägers im südlichen Baden-Württemberg. Nicht nur das Gebäude war neu, sondern auch die zuständigen Betreuer. Ein Riesen-Durcheinander also und ich mittendrin.

Das Innere des Gebäudes konnte ich gut wahrnehmen, die Menschen um mich herum eher weniger gut. Ich fühlte mich, als ob ich besoffen durch die Gegend torkeln würde, wie in einem Karussell  drehte sich alles. Meinen Augen fällt es unheimlich schwer, sich zu fokussieren, als hätte meine Sehkraft  einen Wackelkontakt wie eine nicht richtig eingedrehte Glühbirne.

Doch wenn alles stillsteht und die Leute  näher an mich herantreten, sehe ich recht gut. Das Umfeld um mich herum kann ich in Einzelheiten in Augenschein nehmen, wenn ich für einen Augenblick innehalte und stehen bleibe. Ich betrachte Farben, Kleidung, Geschlecht, Körperhaltung usw.  Also ist es sehr vom Standpunkt abhängig. Wenn es so chaotisch ist, wie bei einem Umzug, dann gelingt mir das nicht.

Zu Beginn hieß es, dass hauptsächlich Personen mit leichtem Handicap miteinziehen und man in seiner Selbstständigkeit unterstützt wird. Pustekuchen!

Rollstuhlfahrer und geistig Eingeschränkte waren mit von der Partie.

Eine Seheinschräkung zählt wohl nicht als Handicap, dachte ich mir, als ich merkte, wie die Betreuer mit mir umgingen.

Menschen, deren Einschränkung von außen nicht sichtbar ist, werden wohl in ihrem Hilfebedarf nicht ganz für voll genommen.

Frustration und Verzweiflung machten sich bei mir breit, als die Betreuer von mir erwarteten, dass ich allein mit dem Taxi fahren kann. Parallel bekamen es die Aufseher nicht auf die Reihe sich an Terminvereinbarungen zu halten. Keiner von denen wusste, wer mit mir zu welchem Termin geht. Ich weiß nicht, was da bei den Übergaben besprochen wird, aber auf dem Laufenden sind die Mitarbeiter sehr selten. Selbst nach den 6 Jahren,  die ich schon in diesem Wohnheim bin. Mich beschlich das dumpfe Gefühl,  nur eine Schachfigur zu sein, die sie herumschupsen können, wie es ihnen gerade passt. Und keiner weiß, was Sache ist.

Zu dieser Zeit fuhr ich täglich mit den anderen in die Behindertenwerkstatt. Auf der Fahrt dorthin wurden noch Leute von anderen Häusern abgeholt. Im Bus müffelte es so extrem, dass ich kurz die Luft anhalten musste. Ich  fühlte mich sehr unbehaglich zwischen den Leuten mit geistiger Einschränkung, ein schrumpeliger, gebückter Mann, der neben mir saß, streckte immer wieder seine Hand nach mir aus, um mir einen Luftkuss zu geben. Widerlich! Mit den Mitarbeitern in der Werkstatt konnte man sich zum Glück richtig unterhalten, und auch wenn doch einige fitte Leute mit dabei waren, schienen sie glücklich und zufrieden zu sein mit der Arbeit in der Werkstatt. Ich war hier aber so was von fehl am Platz. Auf Dauer Schrauben zählen, Kartons falten und überwiegend nur Individuen (Menschen) mit geistiger Einschränkung um mich herum?

Nein Danke!

Bin ich denn die Einzige, die den Drang nach Freiheit verspürt, mehr will als ein ganzes Leben lang immer wieder stumpfen und monotonen Aufgaben nachzugehen? Und das ganze noch unter schlechter Bezahlung. Das würde meiner Meinung nach unter Ausbeutung fallen, davon kann wirklich kein Mensch leben.

Kein Lebewohl

Die, die mir am nächsten stehen, sind so nah und doch so fern.
Zerreißen meine Träume in Stücke.
Es juckt mich nicht.

Von Vertrauen nicht die Spur.
Ist mir so was von egal, denn ich bin unangreifbar.

Der Schmerz sitzt tief,
das Herz pocht laut.
Jaulend wie ein Wolf leide ich vor mich hin.

Bin gescheitert bei dem Versuch mein Bestes zu geben, doch gegen eure Mauer komm ich nicht an.

Kein Lebwohl.
Kein Abschiedsbrief.
Kein Telefon, das klingelt.
Nur ein Post-it am Kühlschrank mit den Worten „Ich bin auf und davon“.

Ihr philosophiert über mein Leben,
zerlegt es in Teile.
Ganz gleich was geschieht, im Vergleich zu den anderen kann ich auf euren Zuspruch lange warten.

Kein Lebewohl.
Kein Abschiedsbrief.
Kein Telefon, das klingelt.
Nur ein Post-it am Kühlschrank mit den Worten „Ich bin auf und davon“.

Ihr seid der Ansicht mich zu kennen, doch mein wahres Wesen bleibt verborgen.
Zuneigung spiegelt sich in materiellen Dingen.
Doch all das ist nichts wert, wenn ich die Liebe nicht spür.

Ihr nehmt mir den Atem, stutzt mir die Flügel.
Ich ringe nach Luft,
treibe in einem Wirbel im Ozean und ohne, dass ihr es merkt,  bin ich aus eurem Leben verschwunden.

Lass es Konfetti regnen, denn jetzt komm ich.
Ab sofort mach ich mir meine eigenen Regeln.
Lass alles hinter mir,
denn in diesem Augenblick fängt mein neues Leben an.

Kein Lebewohl.
Kein Abschiedsbrief.
Kein Telefon, das klingelt.
Nur ein Post-it am Kühlschrank mit den Worten „Ich bin auf und davon“.

Ich und meine Wenigkeit, aufgenommen in München im April 2022.

Ich und meine Wenigkeit

Mein Name ist Franziska Spitz. Ich bin 32 Jahre alt und lebe seit 2012 mit einer Seh- und Geheinschränkung infolge einer Hirnblutung im Stammhirn.

Auf meinem  Weg in Richtung Freiheit möchte ich euch mitnehmen, raus aus dem Wohnheim und rein ins selbstbestimmte Leben.

Um diesen Weg zu beschreiten, musste ich auch den Blick zurück richten auf eine schwierige Zeit, die mir aber die Augen geöffnet hat, wie ich nicht leben möchte. Die mir gezeigt hat, wie wichtig es mir ist, selbst über die Richtung bestimmen zu können, in die sich mein Leben entwickelt.

Wo soll ich anfangen? Ich kenne das Gefühl der Einsamkeit, verletzt am Boden zu liegen und von seinen Mitmenschen enttäuscht zu werden.

Von den Betreuern im Wohnheim nicht ernst genommen, suchte ich mir Ehrenamtliche zur Unterstützung für meinen Alltag. Deren Dienstleistung wird seit 5 Jahren von meinen Eltern finanziert.

Selbstverletzendes Verhalten (SVV) aufgrund von Unterforderung in der Behindertenwerkstatt.

Ein paar Wochen in der Psychiatrie brachten Klarheit.

Abbruch der Behindertenwerkstatt war der erste Schritt. Statt Frust und Schokolade bestimmt seither Aktivität meinen Alltag: 2 x die Woche gehe ich Schwimmen sowie 1x die Woche Laufen. Zum Sport kam die vegane Ernährung.

Städtetouren, Festivals und Kneipentouren gehören zur Freizeitgestaltung dazu.

Ich genieße nach dem Sport die körperliche Auslastung, die ich davor lange nicht erleben durfte, weil solche Aktivitäten wie Wandern oder Schwimmen im Wohnheim nicht vorgesehen sind. Immer wieder konnte jetzt auch wieder mein Humor aufblitzen.

Doch all das brachte mir keine Erfüllung. So suchte ich mir eine Sozialarbeiterin und beantragte ein persönliches Budget, um langfristig aus dem Wohnheim rauszukommen. Ich möchte in einer eigenen Wohnung oder einem WG-Zimmer in einer Wohngemeinschaft leben.

Das wird also Schritt 2 in die Freiheit.

Ich habe es satt, dass Lehrer und Betreuer mir nichts zutrauen, sondern erwarten, dass ich Herausforderungen NICHT meistern kann und gewisse Ziele NIE erreiche.

Um finanzielle Freiheit zu erlangen, beginne ich 2022 eine Schulung bei Quikstepp, die speziell  für Blinde und Seheingeschränkte angeboten wird.