Der Mann hinter dem Vorhang: Max Giesinger gibt unbeschreibliches Konzert in Stuttgart

Das Publikum zückte die Handys, funkelnde Lichter strahlten von Tausenden Displays auf die Bühne. Hinter einem Vorhang erschienen Schatten, deren Konturen schwer zu erahnen waren. Nur ganz links war deutlich der Gitarrist zu erkennen.

Die Umrisse wurden immer deutlicher, und schließlich betrat Max Giesinger die Bühne.

Die Menschenmenge klatschte, jubelte, und Max Giesinger sang seinen erste Song an diesem Abend. Elena, meine Begleiterin, die neben mir saß, beschrieb mir das Geschehen auf der Bühne und das ganze Drumherum so genau wie möglich. Sei es ein plötzlicher Bühnenwechsel von der großen auf eine kleinere Bühne Mitten im Publikum, oder dass der Künstler durchs Publikum lief. Er hatte einen Beutel dabei, aus dem er Zuschauer kleine Zettel mit unterschiedlichen Songtiteln ziehen ließ. Kurz darauf präsentierte er diese Songs dann auf der Bühne. Eine originelle Idee. Und ich hatte mich schon gewundert, warum Max Giesinger fremde Songs spielt.

Erst als Elena mir davon berichtete, ging mir ein Licht auf und ich verstand, warum. Den Gesang, die Freudenschreie der Menschen, das hörte ich. Das Lichterspiel auf der Bühne konnte ich bis zu einem  gewissen Grad recht gut erkennen. Im Verlauf des Events verließ ich mich aber irgendwann vollkommen auf Elena. Ich bemühte mich erst gar nicht, die visuellen Eindrücke aufzunehmen, sondern versuchte, mich auf das zu fokussieren, was ich hörte. Alles andere hatte gar keinen Zweck.

Ich nahm die schwungvolle, gute Stimmung in der großen Halle (Porsche Arena) wahr und das Leuchten der Handydisplays, was für mich aussah wie kleine, helle, leuchtende Punkte. Max Giesinger plauderte immer mal wieder aus den Nähkästchen und unterhielt sich mit dem Publikum. Dadurch entstand eine gewisse Vertrautheit, als ob man sich mit einem guten Freund gemütlich im Wohnzimmer unterhalten würde. Genau das machte das Konzert für mich so besonders.

Wer von euch war selbst schon auf einem Konzert von Max Giesinger?

Wie nehmt ihr ein Konzert wahr?

Was macht für euch ein Konzert besonders?

Für mich ist die Beschreibung meiner Begleitung ausgesprochen wichtig. Hören kann ich alles selbst, aber Mit der Beschreibung erschuf Elena ein Bild voller Farben in meinem Kopf. Zur Unterstützung fotografierte und filmte Elena immer mal wieder kurze Sequenzen des Konzertes. Das hatte den Vorteil, dass ich die Bilder sowie Videos zu Hause noch mal ranzoomen und genau anschauen konnte. Wie trug Max seine Haare, was hatte er an? Sogar seine Mimik konnte ich so erkennen.
Elena machte das Konzert zu einem wunderschönen Ereignis. Dazu möchte ich erwähnen, dass dies das erste gemeinsame Event mit Elena war und sie erst kurz als Assistenz für mich im Einsatz ist.

Alles in allem ein sehr gelungener Abend und ein Konzert, das ich sicher nicht so schnell vergessen werde.

Festival in vollem Gange!

Die Besucher strömen dem Sound entgegen, der vom Festivalgelände zu hören ist. Sie sind bunt gekleidet und super drauf – ganz anders als ich viele Menschen im Alltag erlebe. An fast jedem Essensstand, wo es Fritten, Wraps und sonstige Leckereien gab, stehen die Leute Schlange und warten voller Ungeduld bis sie an der Reihe sind.
Sonnenlicht dringt in jede einzelne Pore meiner Haut. Der Strohhut ist seit dem allerersten Festival mein treuer Begleiter.

Damals auf dem Happiness-Festival in Straubenhardt begegnete mir Jack. Ich saß im Rollstuhl wie jedes Jahr, wenn ich bei Festivals am Start bin. Im Normalfall bin ich zu Fuß unterwegs. Statt Blindenstock leiht mir meine Begleitpersonen die Schulter zum Festhalten. Seheinschränkung plus Gleichgewichtsprobleme das kann schon mal je nach Situation heikel werden.
Auf Festivals dient mir der Rollstuhl dazu, um schneller zu den Behinderten-Tribünen zu gelangen. Außerdem kann ich definitiv keine 2-3 Stunden am Stück stehen, während auf der Konzert-Bühne die Post ab geht.

Bei einem gemeinsamen Bier erzählte mir Jack von seiner Schwester, die das Down-Syndrom hat. Er ermutige sie immer wieder dazu, mehr raus zu gehen, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Aus dem Grund finde er es auch so toll, dass ich hier sei. Trotz Handicap, verstehe sich.
WIESO betonen die Normalos das immer? Denken die, es fühlt sich gut an, auf seine Behinderung reduziert zu werden?
Er hätte doch einfach sagen können: ,,Schön, dass du mitfeierst!‘‘

Erst Hirn einschalten und dann sprechen, ist wohl zu viel verlangt.

Der Duft von Pommes steigt in meine Nase, als mir Rina die Fritten auf den Schoß legt. ,, Kann’s losgehen?‘‘, fragt sie.
Die Frage reißt mich wieder aus meiner Gedankenwelt ins Hier und Jetzt.

Denn in diesem Moment sind wir auf dem Festival Rock am Ring. Also, los gehts!

Rina, die genauso ein Faible für Festivals hat wie ich, hat einfach alles im Griff. Sie sieht und hört alles.

Wir zwängen uns durch die Menschenmasse und bahnen uns den Weg in Richtung Behinderten-Tribünen. Auf dem gesamten Festivalplatz dröhnt Musik aus den Boxen, die breite Masse jubelt, betrinkt sich und ist in Feierlaune. Es ist herrlich!

Auf der Tribünen angelangt, schiebt mich Rina die Rampe hoch. Fast nur Rollifahrer vor Ort, die kaum was von der Bühne sehen und eher durch die Gitterstäbe blicken. Zumindest stelle ich es mir so vor.
Zum Glück kann ich mich frei bewegen und brauche nicht ständig im Rolli zu sitzen.

Es treten SDP auf die Bühne und heizen den Leuten erstmal richtig ein, bevor sie ihre Songs zum Besten geben.

Die Öffentlichkeit tobt, singt aus vollem Halse mit und bewegt sich zum Rhythmus. Von der Bühne sehe ich kaum etwas, selbst die großen Bildschirme, die rechts und links befestigt waren, bringen nicht viel.

Ich nehme ein paar Bildfetzen wahr, die Lichter vom Monitor und die Scheinwerfer, die die Bühne zum Leuchten bringen. Ich tanze im Tankt und lausche dem Klang der Stimmen von Vincent und Dag. Ich mag die Passage mit der tiefen Stimmlage von Dag am meisten, und Vincents Talent fürs Entertainment.

Unter anderem treten im Lauf des Festivals noch Alligatoah, Die Ärzte , Kontra K und andere auf.

Auf dem Festivalplatz sucheen wir uns ein schattiges Plätzchen, um der glühende Hitze für einen Augenblick lang zu entkommen.

Während Rina uns was zum trinken holt, beobachte ich das Treiben der Menschenmassen. Wobei ich nur den Teil regestrierte, der direkt vor mir in Sichtweite ist. Was sich rechts und links von mir abspielt, bemerke ich durch mein eingeschränktes Gesichtsfeld überhaupt nicht. Dazu muss ich dann wirklich meinen Kopf in die dementsprechende Richtung bewegen.

So sehe ich erst in letzter Sekunde den leicht angetrunkenen Kerl, der seine Hand ausstreckte und mir im Vorbeilaufen ein High Five schenkt.

Ich erschreckte mich. Rina kommt mit den Getränken in beiden Händen.

Entspannt trinken wir unsere Becher leer und wollen schon zum nächsten Auftritt, als ein Mädchen in Hotpants, die untenherum ganz ausgefranst waren, auf mich zukommt. An dem Tag trug ich ein zierliches Sommerkleid mit einem Mandala Muster das mit roten Blüten versehen war und dunkleblaue Punkte in der Mitte der Blüten hatten.

Das Mädchen bittet darum, ein Foto von mir, ihr und Rina machen zu dürfen. Ihr Freund schnappt sich die Kamera und schießt ein Bild von uns dreien. Das Mädchen bedankt sich und zieht mit ihrem Freund weiter.

Ich nehme solche Dinge erst wahr, wenn Rina mich darauf aufmerksam macht, oder wenn die Person direkt vor mir steht und mich anspricht. Wenn die Person zum Beispiel von links kommt, sollte sie sich erst mal ankündigen, sich mit Namen vorstellen – und dann können wir ins Gespräch kommen.

Nach einigen Konzerten geht es ein letztes Mal in Richtung Zeltplatz.

Statt sich die Kante zu geben, gibt es alkoholfreie Getränke. Im Hirn hab ich eh schon nen Knacks – und Epileptiker-Medikamente plus Alkohol ist auch keine coole Sache.

Die Euphorie geht trotz allem nicht verloren. Die Leute in ihrem Rausch in ihren Zelten zu beobachten, wie sie saufen, torkeln, kotzen ist im nüchternen Zustand viel amüsanter.

Das bekommt selbst so ein Blindfisch wie ich mit.
Rina schildert ja teilweise das Geschehene im Einzelnen.

Das erinnert mich an das Southside Festival 2018.
Kein Plan, welche Band damals gespielt hat. Es gab auf jeden Fall ausgiebig Pizza. Während Rina was zum Bechern besorgte, verlor mein Gesicht immer mehr Farbe und mir wurde hundeelend. Ich musste brechen. Rina, die mittlerweile wieder bei mir war, holte einen der Sanitäter. Der war so schlau und erkundigte sich bei Rina, wie es mir ginge, und hilflos stellte er die Frage, was er denn machen solle. Rina verschränkte die Arme und wies mit einem strengen Blick darauf hin, mich gefälligst selber zu fragen, denn ich war schließlich ansprechbar.

Er stellte dieselbe Frage an mich und ich meinte bloß, dass ich aus der Menschenmasse raus wollte. Rina schnappte sich den Rollstuhl, und wir ließen den anscheinend komplett überforderten Sanitäter hinter uns.
Runter von der Tribühne musste ich plötzlich auf die Toilette. Ein Mann der hackedicht war, nuschelte wie leid es ihm tue, das sein Kumpel die Behinderten-Toilette blockierte. „Bin ich denn hier von Vollidioten umgeben?“, dachte ich mir in meinem so oder so bereits schlechten Zustand. Die Leute räumten den Weg frei und nach dem ganzen Durcheinander waren wir endlich abseits von der Menschenmenge.

Am Tag darauf lachten Rina und ich darüber. Wir scherzten, was für gute Sanitäter wir doch wären, und dass dieser Depp von gestern anscheinend seinen Beruf vollkommen verfehlt hat.

Zurück zum Festival Rock am Ring.

Wir lassen den letzten Abend gechillt ausklingen und am nächsten Tag brechen wir schwermütig unsere Zelte ab, verstauen das Gepäck im Auto und fahren nach Hause.

Jetzt, nach der Corona-Pandemie, hoffe ich, dass ich am 2.7.2022 auf das Tollwood-Festival nach München gehen kann.