Mit Seheinschränkung leben: Diese Hilfe brauche ich im Alltag

Ich lebe seit 2012 mit einer Seheinschränkung, einem sogenannten Nystagmus. Ich habe euch schon erklärt, was das ist, wie mein Sehen dadurch eingeschränkt ist und wie ich mich seit der  Seheinschränkung in meiner Wohnung organisiere. Bei vielem, was ich machen möchte, benötige ich Hilfe – vor allem, wenn ich unterwegs sein will. Was ist also die Aufgabe der Person, die mich im Alltag und auf Tour begleitet? Hier einige Tipps, die für Euch im Umgang mit seheingeschränkten Menschen vielleicht auch hilfreich sein können. Wobei es am besten ist, immer zu fragen, welche Hilfe auch erwünscht ist.

Sei es beim Arztbesuch, auf Reisen, beim Museumsbesuch oder auf größeren Veranstaltungen – es sollte der Begleitperson bewusst sein: Mich zu begleiten, ist mit Arbeit und Verantwortung verbunden, auch wenn es sich um Freizeitaktivitäten handelt.

Immer, wenn es rausgeht, bin ich auf Teamwork angewiesen:

Unterwegs mit Bus und Bahn:

Wenn ich unterwegs bin, verlangt meine Seheinschränkung den Assistenten einiges ab – aber selbst wenn mal was nicht so läuft, wie es soll, versuche ich es mit Humor zu nehmen. Vor allem Bus und Bahn werden für mich zur Wackelpartie. Meine Begleitung muss für mich nach einem Platz Ausschau halten und mir sagen wo ich mich festhalten kann. Bei diesem Tehma muss ich an eine Bahnfahrt auf der Reise nach Wien denken. Oft muss es schnell gehen, die Bahn war in diesem Fall nicht so nett, zu warten bis ich mich hingesetzt habe – ich bin ruckartig in den Sitz gefallen. Einmal bin ich sogar beinahe auf die Person gestürzt, die mir gegenüber saß. So oft wie dort in den öffentlichen Verkehrsmitteln hatte ich schon lange nicht mehr den Halt verloren.

Unterwegs mit dem Auto:

Wenn ich mit Assistenten im Auto unterwegs bin, dann ist das für mich komfortabler. Aber auch hier ein Beispiel, wo trotzdem Probleme entstehen können. Wir sind auf dem Weg zu einem Treffen, Termin oder zu einer Veranstaltung. Wenn ich schon ausgestiegen bin und die Begleitperson bemerkt, dass sie noch einen Parkschein lösen muss, dann sollte sie mir das mitteilen, bevor sie geht. Und sie sollte dafür sorgen, dass ich mich entweder setzen oder irgendwo so lange festhalten kann bis sie wieder kommt.

Unterwegs zu Fuß:

Wenn wir zu Fuß unterwegs sind, ist Kommunikation elementar. Denn ich kann es nicht ausstehen, wenn aus heiterem Himmel an mir gezogen wird. Ich muss und möchte erst einmal wissen, was los ist. Sagt mir zum Beispiel, dass ein Auto entgegenkommt, das ich nicht sehe. Oder sagt mir, dass wir abbiegen müssen. Oder dass ihr mir etwas zeigen möchtet. Ihr habt einen Mund zum Reden, also benutzt ihn auch. Kommt nicht mit solchen vagen Aussagen wie „Da kommt ein Auto“, „Hier lang“, „Da hin“ oder – noch schlimmer – mit Schweigen. Wichtig ist, dass ihr die Umgebung für mich genau betrachtet und mögliche Stolperfallen für mich erkennt. Das könnte sein: ein nicht rangerückter Stuhl, eine Teppichkante, Stufen, der Bordstein oder ein sonstiger Absatz, Wurzeln oder Steine auf dem Weg.

Aber es gibt noch viel mehr Punkte in meinem Alltag, an denen ich Hilfe brauche. Und Verhaltensweisen, auf die ich besonders viel Wert lege:

Beschreibung meines Umfeldes bei Gefahr:

Wenn ihr mich warnen wollt, dann reicht es nicht „Vorsicht, pass auf“ zu sagen. Wenn ich so was höre komme sogar ziemlich schnell ins Schwanken, weil ich verunsichert bin. Die Angaben sollten möglichst präzise sein. „Vor dir kommt eine Stufe“, „Links von dir möchte eine Person vorbei“, „Direkt hinter dir steht ein Einkaufswagen“ – damit kann ich was anfangen. Und immer gilt: Beschreibe mir, was Du siehst.

Beschreibung eines Weges:

Die Seheinschränkung brachte mir die erschreckende Erkenntnis, dass die Sehenden richtig mies darin sind, Wege so zu beschreiben, damit ich was damit anfangen kann. Bei Wegbeschreibungen ist es wichtig für einen Seheingeschränkten, zu wissen, dass er oder sie auf dem richtigen Weg ist. Makante Anhaltspunkte sind dabei sehr hilfreich. Das kann eine Baustelle, ein Dornenbusch, eine Kirche oder ein Geschäft sein.

Beschreibung von sehenswerten Besonderheiten:

Sehenswürdigkeiten oder Kunst im Museum zu beschreiben ist noch einmal schwieriger. Aber versucht es. Ihr schenkt der seheingeschränkten Person einen großen Mehrwert damit. Der Besuch in einem Museum oder eine Reise gewinnt an Qualität und ihr selbst lernt noch etwas dazu. Ohne genaue Beschreibungen sind Museumsbesuche oder Fahrten zu Sehenswürdigkeiten aus meiner Sicht sonst reine Zeitverschwendung für mich.

Unterstützung bei schriftlicher Kommunikation:

Zu meinen Alltag gehört wie bei jedem anderen Menschen schriftliche Kommunikation. Wer mich kontaktieren möchte, sollte das am besten über WhatsApp oder per Mail tun. Dort habe ich die Möglichkeit, den Text zu vergrößern. Für weiterleitete Dokumenten per Mail sind PDF-Dateien für mich am praktischsten. Falls nur ein Blatt Papier in greifbarer Nähe ist, um schriftlich etwas festzuhalten, dann am besten groß, in Druckschrift und mit einen dicken Filzstift schreiben.

Orientierungshilfe bei Veranstaltungen:

Meine Assistenz teilt mir mit, wenn ihr den Raum betretet oder das Gespräch verlässt. Fragt mich, wo ich sitzen möchte, beschreibt mir den Raum und die möglichen Sitzplätze.

Gibt es noch weiter Punkte?

Die Assistenz ist also so gut wie immer meine Begleitung. Aber trotzdem möchte ich selbst wahrgenommen werden. Fangt nicht an, Fragen an die Assistenz zu stellen, die eigentlich an die Person mit Behinderung gerichtet sind. Das empfinde ich als dermaßen respektlos. Es gibt mir das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Es ist, als ob ich nicht existieren würde. Gleichzeitig solltet ihr der Assistenz Wertschätzung entgegenbringen.

Wie die Assistenz Wien zum Leben erweckt

Ursprünglich hatte ich nie vor, nach Wien zu gehen. Nachdem mein Vater mir jedoch Konzertkarten für SDP in Wien besorgt hatte, entschied ich mich für einen Kurzurlaub. Matthis, mein neuer Assistent für Sport und Freizeit, begleitete mich dabei. Vor allem nach der coronabedingten Pause für viele Künstler und ihre Fans erwartete ich, dass das Konzert wie eine Bombe einschlägt. Die Recherchen über Wien überließ ich bei diesem Trip zum ersten Mal meinen Assistenten.

Hier erfahrt ihr, wie Matthis mich durch Wien geführt hat, wie man seinen Job als Assistent richtig macht und was mir besonders an der Reise gefiel.

Angebote und Sehenswürdigkeiten:
Mitten in der historischen Hauptstadt Österreichs begann unsere Reise bei den üblichen Sehenswürdigkeiten, über die ich Euch hier gar nicht viel erzählen will. Die Informationen findet ihr in jedem Reiseführer. Ich schildere Euch meine ganz persönlichen Eindrücke von Wien.

Die Treppen, die kein Ende nahmen!
Unterwegs in der Innenstadt stieß ich, wo auch immer wir waren, auf Treppen, die zu meinem Glück rechts und links mit einem Handlauf ausgestattet waren. In keiner anderen Stadt konnte ich so viel Treppen steigen.

Die Rolltreppen beunruhigten mich allerdings. Trotz Vorankündigung von Matthias trat ich zum falschen Moment auf die Rolltreppe. Ohne dass er mich festhielt, funktionierte das Ganze nicht. Ich stürzte eher nach vorne, als dass ich das Gleichgewicht halten konnte.

So sehr mich Wien auch faszinierte, die Orientierung nach den Himmelsrichtungen war auch nach den Tagen dort noch immer ein Desaster.

Ich konnte oft nicht einordnen, wo wir uns genau in Wien befanden.

Veganer haben ein hartes Los:
Während ich mit Matthias durch den Naschmarkt schlenderte machte sich Frust breit.

120 Marktstände und Lokale von wienerisch bis indisch, von vietnamesisch bis italienisch –  doch von veganem Essen oder Restaurants keine Spur. Nach langem Suchen landeten wir in „Swing Kitchen“, einem veganen Fast-Food-Restaurant. In der Zeit, die ich in Wien verbrachte, besuchten wir 6 bis 7 Restaurants, die mich alle nicht wirklich vom Hocker hauen konnten im Gegensatz zu denen in Berlin. Ich empfand es als sehr schwierig, in Wien als Veganer fündig zu werden.

Ein kleiner Trost:
Ich war wie verzaubert, als ich den langgestreckten Innenhof Sünnhof zu Gesicht bekam. Mein Blick richtete sich auf die schillernden Farben der Regenschirme, die in der Luft schwebten und in der Dunkelheit von Glühbirnen beleuchtet wurden.

Gewiss existieren noch andere Innenhöfe in Wien. Unteranderem kann ich den „Raimundhof“ wärmstens empfehlen. Dieser Hof wird von mehreren kleinen Lokalen und Cafés geziert. Auch besonders schön war der Hof in der „Neustiftgasse“. Er war extrem charmant und südländisch in seinem Flair. Der Durchgang lädt zu einem netten Spaziergang unter einem teils grünen Blätterdach ein.

Abenteuerlust:
Die reinste Lebensfreude packte mich, als ich mitten im Freizeitpark stand.  Der Prater sprühte vor Energie und die Menschen waren in bester Laune.

Es wurde einiges geboten: turbulente Achterbahnen, gruselige Geisterbahnen und Attraktionen für Groß und Klein. Doch so spaßig und adrenalingeladen das Ganze auch sein mag, keine von all den Attraktionen war barrierefrei.

So blieb nur das Riesenrad für mich. Matthis half mir in den Waggon und es ging hoch hinaus. Er hat mich wirklich toll begleitet: Die ganze Recherche im Vorfeld und die Organisation hat er übernommen. Ich musste mich um nichts kümmern und konnte Wien ganz entspannt erleben. Ob zwischen den alten Häusern oder wie im Riesenrad hoch über den Dächern der Stadt.

Kühle Getränke an der Donau und eine Vielfalt an Kunst:
Entlang des Donaukanals sammelte sich ein buntes Volk, welches sich von den Graffitis an den Mauern entlang des Kanals inspirieren lassen konnte. Ob man sie für Kunst oder Klecksereien hält, Graffitis prägen an vielen Stellen Wiens Stadtbild. Besonders an den Mauern entlang des Donaukanals. Mit der Zeit fiel mir auf, dass einige Graffitis mit viel Aufwand verbunden gewesen sein müssen – im Unterschied zu den sogenannten Tags, die in kurzer Zeit und meist illegal an Häuser, Züge oder Straßenschilder gesprüht werde.

Gemeinsam saßen Matthis und ich an einer Bar und genehmigten uns ein kühles Getränk. Dazu genossen wir die Klänge der Musik in unseren Ohren.
Als wir ausgetrunken hatten, sprang ich vom Barhocker: Ich war jetzt neugierig darauf, an den Graffitis vorbeizugehen.

Matthis machte mich auf Metall-Gestalten aufmerksam. Wenn mich Matthis nicht drauf aufmerksam gemacht hätte, wäre ich schnurstracks daran vorbeigelaufen.

Abstrakte Figuren aus braunem Rost und Metall, die sich gegenübertreten und gegeneinander kämpfen. Gestalten, die so stark mit Dellen „verziert“ waren, dass für mich nicht erkennbar war, was sie darstellen sollten. Die Darstellung der Statuen war auch für Matthis schwer zu beschreiben.

Der Spaziergang am Donaukanal wurde zu keiner Sekunde langweilig. Es kam mir wie ein Street-Art-Museum vor, welches mit täglich neuen Werken, die es zu entdecken galt, bestückt war.

Ein absolutes „Muss“ für einen jeden, der sich für Kunst begeistert.

Das Allrounder Musiker Duo SDP als Schlusslicht!
Der Andrang in der Halle war gigantisch. Matthis holte sich Popcorn, bevor wir endlich unsere Plätze aufsuchten. Ich spürte die Aufregung der Leute, die es kaum noch erwarten konnten.

Mathis führte mich zu unseren Plätzen. Wir saßen kaum, schon heizte die Vorband erstmal ordentlich ein. Dann endlich begann das eigentliche Konzert und „SDP“ erschien auf der Bildfläche. Vincent und Dag freuten sich nach so langer Zeit wieder auf der Bühne zu stehen. Es zischte und blitzte nur so vor Leuchteffekten. Von alten Kinderzimmerliedern bis zu aktuellen Songs war alles dabei und ich kannte sie alle: Von „Der Anfang anzufangen“ bis zu der neuesten Single „Du hast gehofft“.

In dem Augenblick als das Konzert begann, erblickte ich das Lichterspiel der Show und alles andere war für mich nicht greifbar. Weder die Bühne noch die Band. Mit gespitzten Ohren schenkte ich der Musik meine volle Beachtung. Zwischen dem Jauchzen und dem Gesang des Publikums ertönte eine Mischung aus Hip Hop, Pop und Elektro in meine Ohren.

Ich schwebte auf den Melodien und wippte zum Takt. Den Aufbau der Bühne und die ganze Show überließ ich meiner Fantasie – die Bühne war einfach zu weit weg.

Matthis übernahm überwiegend den ruhigen Part.

Es war ein gelungener Abend und der perfekte Abschluss von unserer gemeinsamen Reise in eine der prunkvollsten Städte Europas.

Meine Tipps für Euch:

  • Die Regenschirmgasse: Wir waren nachts dort, die Beleuchtung über dem Hof hat die Schirme wunderbar bunt leuchten lassen. Wenn das mal nicht die richtige Kulisse für einen romantischen Spaziergang ist. https://www.wien.gv.at/spaziergang/innenhoefe/suennhof.html
  • Graffitis am Donaukanal: Ich liebe alles, was farbenfroh ist. Und es gibt keine Vorschriften für die Künstler, hier leben sich die Sprayer aus. Und auch die abstrakten Metallfiguren haben es mir angetan. Wer auf diese Art von Kunst blickt, kann seiner Fantasie freien Lauf lassen. https://www.meinbezirk.at/leopoldstadt/c-freizeit/streetart-und-graffitis-am-donaukanal_a2275566
  • Vegane Pizza, das sagt schon alles – wir waren oft in Restaurants, die nur ein oder zwei vegane Optionen im Angebot hatten. Aber hier hatte ich die ganze Karte zur Auswahl. Bei mir zuhause gibt es keinen einzigen Laden, der vegane Pizza anbietet. Daher war ich hier im Pizzahimmel – mega lecker und man musste überhaupt nicht lange warten.

Mein Fazit:

Wien war von der Sauberkeit her eine echte Ausnahmeerscheinung. Vor allem im Vergleich zu Berlin, wo ich zuvor unterwegs war. Berlin ist schmutziger, dafür bietet es eine riesige Auswahl an Restaurants für Veganer – im Gegensatz dazu geht man in der Hauptstadt des Wiener Schnitzels und Heimat des Kaiserscharrn als Veganer heillos unter. Essen ist mir im Urlaub wichtig, deshalb hat mich die Stadt teilweise etwas frustriert. Auch die vielen historischen Sehenswürdigkeiten mögen manche toll finden, mich haben sie nicht vom Hocker gerissen. Wer sich wie ich bei den Graffitis am Donaukanal am wohlsten fühlt, fährt für den nächsten Kurztrip wahrscheinlich wieder lieber nach Berlin.

Wie ein Trip nach Berlin mich verändert hat



Von Weitem erblickte ich, wenn auch unscharf, die Siegessäule von Berlin. Den Kopf aus dem Autofenster gestreckt, kamen wir der Großstadt näher. Ich war voller Vorfreude und konnte es kaum erwarten, die Stadt zu erkunden. Dietrich (Name geändert) parkte das Auto 10 Minuten vom Hotel entfernt und holte das Gepäck aus dem Kofferraum. Dietrich und ich kannten uns erst seit einem halben Jahr. Zwar waren wir zuvor schon öfter für mehrere Stunden unterwegs gewesen, doch dass er mich gleich mehrere Tage begleitet, ist für uns beide neu. Eine Reise, die also spannend werden dürfte.

Sightseeing in Berlin

Am darauffolgenden Tag klopfte es an meiner Zimmertür und Dietrich stand vor mir, um mich abzuholen. Behutsam legte ich meine Hand auf seine Schulter. Der Flur war gerade mal so breit, dass wir hintereinander laufen konnten. Also nahm ich meine Hand von der Schulter und stütze mich an der Wand ab. Unter den Füßen knarrten die Holzdielen. Sobald es uneben wurde, sagte Dietrich Bescheid oder half mir geschwind über die Erhöhung der Bodendiele hinweg. Typisch Altbau eben.

Draußen nahm ich den Tumult des Straßenverkehrs wahr.

 Meine Augen schweiften kontinuierlich hin und her, ich versuchte einen Eindruck der fremden Umgebung zu bekommen. Doch so war es mir unmöglich, ein klares Bild zu fassen.

Für fünf Tage sollte Dietrich mich nun durch Berlin begleiten und den Fremdenführer spielen. Deutschlands Hauptstadt wartete darauf, von uns erkundet zu werden.
 
Fest eingehakt bei Dietrich lief ich über die Straße. Auf den Verkehr sowie die Ampeln brauchte ich nicht zu achten. Genauso wenig auf die Bordsteinkanten. Als Begleitperson war das unter anderem sein Job, mich darauf hinzuweisen.

Erster Stopp, eine Schiffsfahrt über die Spree. Doch zuvor mussten wir ein kurzes Stück mit dem Bus fahren. Da ich weder den Busfahrplan noch vorn die Anzeige der Busse lesen konnte, nahm mir Dietrich diese Aufgabe ab. Als der Bus vor uns hielt, ging Dietrich einen großen Schritt voran, hielt mich dabei immer noch fest, und ich machte es ihm nach. Dietrich räumte den Weg frei auf der Suche nach einem Sitzplatz.

Wenig später stupste mich jemand von der Seite an. Es war Dietrich, der mir zu verstehen gab, dass wir jetzt an dieser Haltestelle auszusteigen haben.

Aus dem Bus draußen, blieben wir kurz stehen. Ich versuchte mich neu zu orientieren. Doch es dauerte viel zu lange bis meine Augen sich fokussierten und ein klares Bild entstehen konnte. 

Mit einem Mal zog Dietrich an mir und strecke den Arm Richtung Spree aus, wo das Schiff schon abfahrbereit stand. Wir setzen uns in Bewegung und die Menschen, die Straße, der Verkehr wurden unscharf.

Wir legten einen Sprint hin um noch rechtzeitig an Bord zu gehen. Dietrich griff nach meinem Geldbeutel und legte das Geld vor, plus Behinderten-Ausweis. 

Das war wirklich eine Erleichterung für mich, immerhin hatte er zwei funktionsfähige Arme – anders als ich. Durch meine Spastik am linken Arm funktioniert nur die Grobmotorik, die Feinmotorik fällt komplett weg. Der rechte Arm ist vollkommen funktionsfähig und gesund.

In kleinen Schritten ging ich die Wendeltreppe hoch an Deck. Rechts war ein Handlauf, an dem ich mich festhielt. Stufe für Stufe bewegte ich mich vorwärts. Mit dem rechten Fuß ging ich voran, das linke Bein, an dem die Schiene befestigt war, kam nach. Vor jeder Stufe wartete ich, bis ich das Gleichgewicht wieder erlangt hatte. Oben angelangt hielt ich mich an Dietrich fest. Er hielt nach zwei geeigneten Plätzen Ausschau.

 Inmitten der knallenden Sonne, die auf unsere Köpfe schien, hörte ich das Wispern der Spree in meinen Ohren. 

Im Laufe des Tages besichtigten wir auch noch den Fernseherturm, der unterm Strich nicht besonders erwähnenswert war. Trotz einer Höhe von 368 Metern. Dann besuchten wir das Brandenburger Tor sowie das Jüdische Museum. Vom ständigen Stehen, Laufen und wieder Anhalten vor einem Bild, sobald Dietrich mir vorlesen wollte, was darüber geschrieben wurde, taten mir die Füße weh.

Das kulinarische Berlin

In Berlin existiert eine Vielzahl von veganen Restaurants. Von süßen Donuts bei Brammibal’s Donuts bis zu asiatischen, mexikanischen sowie türkischen Kochkünsten. 

Ich liebe die vielen Möglichkeiten an veganen Restaurants. Dietrich las mir die Gerichte aus der Speisekarte vor oder schnitt mir das Essen klein, falls notwendig. 

Einen Besuch wert: Der ,,Xuan Markt“ im Bezirk Lichtenberg. Frei übersetzt wird der Markt auch als Frühlingswiese bezeichnet.
 
Ich für meinen Teil nahm nicht mehr wahr als das lebhafte Gewusel der Menschenmasse und die fernöstlichen Gerüche, die in meine Nase stiegen. 
Dabei waren wir noch nicht einmal in die sechs Hallen des Doung Xuan Center eingetreten, wo es alles geben sollte, was Asien exportierte. 

Beim Anblick der Hallen stürzten alle erdenklichen Eindrücke auf mich ein. Das fröhliche Gedränge, die warme Luft in den Hallen, das Schwätzen der Händler mit den Kunden und, nicht zu vergessen, die verschiedensten Aromen, die ich nicht richtig einordnen konnte.

 Schweigend schlenderten wir durch die Markthallen. Nur schwer fand ich mich zurecht, lose Bilder zogen an mir vorbei, so bekam ich nichts davon mit, welche asiatischen Lebensmittel es gab, und was noch angeboten wurde, von Textilien, Lederwaren, Kurzwaren, Technik über Uhren und Schmuck bis hin zu verschiedenen Dienstleistungen.

Ich war da und bekam doch wenig mit – mir fehlten Beschreibungen. Doch das wusste ich in dem Moment noch gar nicht – erst später merkte ich bei anderen Reisen mit erfahrenderen Assistenten, wie viel sie mir mit ihren Beschreibungen vermitteln können.

In Berlin haben wir außerdem einen richtigen Thai-Streetfood-Markt und Berlins beste Open Air Küche im Preußenpark besucht. Das Herz von Thailand sprach zu mir und führte mich an einen exotischen Ort voller neuer Gerüche. Es herrschte eine geräuschvolle Kulisse im Hintergrund. Dietrich sprach mit einer Freundin, die wir dort getroffen haben, bereits darüber, wie auf traditionelle Art thailändisches Essen vor Ort zubereitet wird.

In solchen Augenblicken komme ich mir manchmal echt fehl am Platz vor. Man selbst bekommt nicht mit, was es alles zu essen gibt, was für Menschen einen umgeben, ich bekomme manchmal in solchen Situationen gar nicht mit, ob mich jemand anspricht, ein Begleiter auf einmal woanders steht oder eventuell bereits gegangen ist. Und wenn ich es endlich gemerkt habe, ist der Moment schon vorbei.
Was ich seit meiner Seheinschränkung wahrnehme: Dass die Normalos Dinge selten gut, oft auch gar nicht beschreiben können. Mit Aussagen wie „rechts von dir auf dem Tisch steht die Flasche“, „links von dir steht der Jan“ oder „auf der anderen Straßenseite ist die Ampel rot“ kann ich was anfangen. Aber stattdessen höre ich Sachen wie „da hinten“, „guck mal, da lang“.

Mein Fazit:

Nur weil wir alle reden können, heißt das noch lange nicht, dass wir miteinander kommunizieren können. Jetzt aber zurück zum thailändischen Streetfood-Markt. Denn es ist doch noch Licht geworden, siehe da: Dietrich beschreibt, was es auf dem Markt für Leckereien gibt und als ich näher herantrat, erkannte ich sogar, wie die Verkäufer das Essen zubereitet haben. Noch schöner wäre es gewesen, wenn Dietrich es mir beschrieben hätte.

Die Treppen von Berlin

Den Treppen von Berlin war ich eher feindselig gesinnt. Nicht gerade sauber, verschmiertes Treppengeländer, und es gab nur sehr selten auf beiden Seiten einen Handlauf. An sich nichts Gravierendes, wenn man allerdings ohne Handlauf keine Treppen steigen kann, so wie ich, ist das ein großes Hindernis und schränkt einen in seiner Mobilität ein. Für den Fall, dass kein Handlauf vorhanden oder mir das Ganze zu schmuddelig ist, unterstützt mich gegebenenfalls meine Begleitperson. 

Das sieht dann folgendermaßen aus: 

Entweder halte ich mich an der Schulter fest und wir steigen die Treppen Stufe für Stufe, oder die Person legt den Arm hinter meinen Rücken und gibt mir erstens sicheren Halt und zweitens kann sie so schneller nach mir greifen, sollte ich das Gleichgewicht verlieren.

 Dies nimmt selbstverständlich mehr Zeit in Anspruch und so verpasst man die ein oder andere Bahn. 

Nichtsdestotrotz gelangt man wunderbar von A nach B.


Shoppen bei Räucherstäbchen-Duft

Wir trafen uns in Berlin mit Rina (Name geändert), die dort ein Praxissemester absolviert. 

Da Dietrich zum Shoppen nicht besonders hilfreich ist, schickten wir Mäddels den Mann zum Frisör und anschließend zum Kaffeetrinken.

 Im Guru Shop am Prenzlauer Berg ließen wir uns inspirieren von einer Riesenauswahl an schönen Dingen aus aller Welt. Wenn ihr mal dort seid: Taucht ein in schimmernde Farben aus Indien, Thailand und Indonesien. Möbel, Leuchten, Heimtextilien, Bekleidung, Dekoration, Schmuck und mehr. 

Klingt das gut in euren Ohren? Dann lasst uns shoppen!
 Ich sah allerdings nur leuchtende, zusammenhanglose Farben, nur vage Schattenrisse aus der Ferne, war ohne Orientierung und hatte den Geruch von Räucherstäbchen in der Nase.

 Näher ins Licht getreten, verschaffte ich mir bis zu einem gewissen Grad einen Überblick. Alles, was in geringer Entfernung lag, war für mich gut sichtbar. Doch alles, was auf großer Distanz lag, war für mich schwer ersichtlich.

Rina zeigte mir ein lilafarbenes Bandeau-Top, ein Neckholder im Lagenlook. Sie stöberte noch nach einer oder zwei blauen Leggings und hängte mir alles in die Umkleide.

 Wenn ich Klamotten anprobiere, läuft das so ab: Mit den linken Arm wird das Oberteil festgehalten und der linke Arm hilft beim Aus- und Anziehen. Der Aufwand hat sich gelohnt, ich verließ den Laden mit einer vollen Einkaufstasche.

Chillen in der Natur mitten in der Großstadt

Wir nutzten das wunderschöne Wetter aus und trafen uns mit Josie etwas außerhalb von Berlin an einem Badesee. Josie war die erste Studentin, die im Wohnheim als Ehrenamtliche kennengelernt habe.
Die Sonne strahlte durch die Bäume, und dennoch spendete uns die Natur ausreichend Schatten. Mit Picknickdecke und Essenskorb im Gepäck spazierten wir an einer schmalen Lichtung entlang. Der weiche Boden unter mir besaß ganz kleine Wurzeln, wodurch ich ab und an verstärkt Druck beim Abstützen auf Dietrichs Schulter ausübte. Am Ufer des Sees angekommen, konnte ich es kaum erwarten die Schuhe loszuwerden, um den warmen Sand unter meinen Füßen zu spüren. 
Der Boden unter mir ließ nach, und Dietrich führte mich zur Stelle, wo Josie bereits die Picknickdecke aufgeschlagen hat und sich im Badeanzug von der Sonne brutzeln ließ.

Dietrich stand breitbeinig vor mir, hielt mich mit beiden Armen fest und half mir so, mich auf den Boden zu setzen. Ich entledigte mich meiner Kleider, stand mit Hilfe von Dietrich auf, der mir den Schwimmgurt um meinen Bauch befestigte. Schwimmbrille auf, und dann ab ins Wasser. Nachdem wir uns beim Schwimmen abgekühlt haben, chillten wir bis zum Spätnachmittag am Strand und aßen unsere Snacks.

Meine Tipps für Euch:

  • Vegane Donuts bei Brammibal’s: Diesen Laden gibt es mehrmals in Berlin und er bietet absoluten Hochgenuss für alle Süßigkeiten-Junkies.
    brammibalsdonuts.de
  • Der Thaipark: Hier könnt ihr bei der Zubereitung asiatischer Gerichte zusehen. Selbst wer seheingeschränkt ist, schwebt durch ein Meer von Gerüchen.
    thaipark.de
  • Farbig und bunt – wer sich neu einkleiden möchte und keine Angst vor einem leuchtenden Auftritt hat, kann hier herrlich shoppen. Es gibt nicht nur Klamotten, sondern auch Möbel und Deko. Schöne Einzelstücke können Eure Wohnung aufwerten. Im Laden wird man von der Menge besonderer Möbelstücke aber fast erschlagen. www.guru-shop.de

Mein Fazit:

Berlin war für mich eine Wahnsinns-Stadt. Ich hätte allerdings mehr an Erfahrung mitgenommen, wenn der Reiseleiter Dietrich vieles besser berichtet und beschrieben hätte. Ob Berlin eine Reise wert ist? Auf jeden Fall!

Vor Berlin hab ich mich sehr zurück gezogen und wollte kaum raus. Dies hat sich nach Berlin schlagartig geändert. Ich gehe viel beschwingter durchs Leben und bin mit Neugier erfüllt, mit einem Wissensdurst, den ich vorher noch nicht kannte.

Jeder Veganer, der sich nach Leckereien ohne langes Studieren von Speisekarten sehnt, sollte auf jeden Fall nach Berlin fahren.

Aus diesem Grund hat Berlin eine so große Bedeutung für mich! Am liebsten würde ich sofort dort hinziehen.