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Alles hat seinen Platz! Wie ich mich in meiner Wohnung organisiere

Ich habe euch erklärt, was ein Nystagmus ist und wie er mein Sehen einschränkt. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf meinen Alltag. Ordnung und Kommunikation stehen für mich an oberster Stelle. Das war nicht immer so. Um ehrlich zu sein, wurde ich vom Chaosfreak zum Ordnungsfreak.

Vor meiner Hirnblutung existierte so etwas wie Ordnung für mich nicht. Kleidungsstücke lagen verteilt im Zimmer, und auf dem Schreibtisch herrschte ein Zettel-Chaos. Die Seheinschränkung hat aber so einiges verändert. Und dass ich wegen einer linksseitigen Spastik alles mehr oder weniger nur mit einem Arm bewältigen muss, macht das Ganze nicht einfacher. So organisiere ich mein direktes Wohnumfeld, um mich darin zurechtzufinden.

Kleiderschrank:

Zusammen mit einer Assistentin habe ich Fotos im Schrank über jeden Klamottenstapel und an jede Schublade geklebt. Die Fotos zeigen, was dort liegt und sind zusätzlich beschriftet. Von Kurz- bis Langarm ist alles dabei. Das gleiche gilt für Socken, Unterwäsche oder Sportkleidung. Die Bilder dienen nicht nur mir zur Orientierung, sondern auch mal einem freiwilligen Helfer, um die zusammengefalteten Klamotten an den richtigen Ort in den Schrank zu legen. Wenn ich das selbst machen würde, würden die Klamotten halb zerknüllt im Schrank liegen.

Schreibtisch/Nachttisch:

Meine Assistenz geht mit mir zusammen die Post durch und legt sie mir dann in Ablagen; erledigte Unterlagen werden zur Aufbewahrung im Ordner abgeheftet, und die Ordner sind sorgfältig beschriftet. Alles hat seinen festen Platz, sei es der Locher auf dem Schreibtisch oder die Schale auf meinen Nachttisch, wo immer Geldbeutel, Schlüssel, Handy liegen. Legt eine Assistentin die Sachen an einen anderen Ort, ohne es mir zu sagen, ist mein kompletter Alltag gestört; ich komme aus dem Konzept und irre in der Wohnung herum, um die Sachen wiederzufinden.

Küche:

In der Küche das gleiche Spiel. Geschirr, Besteck, Messerblock oder andere Küchenutensilien müssen an ihrem Platz sein. Ich kann mich selbst in gewohnten Umgebungen nicht so schnell umorientieren, dass ich die Dinge finden würde, wenn sie woanders liegen.

Erkenntnis: Nur mit einem eingespielten Team, das mitdenkt, schaffe ich es, Ordnung zu halten. Die AssistentInnen sind meine Arme und meine Augen zugleich. Ich dirigiere, und sie führen aus. Nur so und nicht anders funktioniert es.

Allerdings durfte ich feststellen, dass es den Normalos unheimlich schwer fällt, sich daran zu halten. So wie Kommunikation nicht gleich Kommunikation ist.

Für Sehende und erst recht für Menschen mit Seheinschränkung ist klare zwischenmenschliche Kommunikation das A und O. Ich gebe Euch einen Überblick, was ich an Körpersprache überhaupt wahrnehmen kann und welche Verhaltensweisen für mich wichtig sind.

Gestik und Mimik:

Aus einer Distanz von 3 – 5 Metern ist es mir kaum möglich, Personen zu erkennen. Ob Mann oder Frau, ob ein Lächeln auf dem Gesicht liegt, mir ein Blick geschenkt wird, mir jemand ein Handzeichen gibt oder telefoniert, sehe ich erstmal nicht. All das spielt aber für das Thema Kommunikation eine sehr große Rolle. Es ist wichtig, mir solche Dinge auf verbaler Ebene mitzuteilen. Wer sich mir von rechts oder links nähert, sollte sich mit Namen ankündigen beziehungsweise sich bemerkbar machen. Das liegt unter anderem auch an meinem eingeschränkten Gesichtsfeld.

Diskussionsrunden:

Bei Geburtstagsfeiern, Kneipentouren oder andere Feiern/Veranstaltungen fällt mir immer wieder auf, was für eine Herausforderung es ist, den Gesprächen zu folgen. Welche Person spricht gerade, wer sitzt wo? In solchen Situationen ist es hilfreich, mir zu sagen, welche Person rechts, links, gegenüber von mir sitzt. Es hilft mir nicht, wenn jemand die Beschreibungen da, hier, dort verwendet. Präziser ist zum Beispiel: „Rechts von dir steht Torsten und links gegenüber die Mila.“ Mit dem Arm in die die entsprechende Richtung zu zeigen, kann zur Unterstützung beitragen, da ich in der Nähe relativ gut sehe. In Eins-zu-Eins-Gesprächen oder in einer Dreiergruppe ist es für mich weniger problematisch, mich ohne Hilfe zu orientieren. Was mir seit meiner Seh-Einschränkung stark auffällt, ist, dass die Leute sich kaum noch mit Namen ansprechen. Stattdessen heißen die Leute „Hey“, „Na du“, „Wie geht’s?“ oder es wird eben einfach drauflos gequasselt. Alle fokussieren sich so auf das Sehen, dass die richtige Kommunikation in den Hintergrund gerät.

Unterwegs im Freien und in Räumen:

In gewohnten Räumen, wo ich schon mehr als einmal gewesen bin, finde ich mich schnell zurecht. Das können Räume sein wie meine Wohnung, Arztpraxen oder ein Hotel, wenn ich auf Reisen bin. Draußen hingegen bin ich voll auf meine Begleitperson angewiesen. Mich zu orientieren, zu wissen wo wir jetzt genau in einer Stadt sind, ist sehr anstrengend für mich. Bei einem eintrainierten Weg oder bekannten Ort ist das wieder was ganz anderes. Deshalb bin ich auf meine Assistentinnen und Assistenten angewiesen, die mir im Alltag und auf Reisen helfen.

Mein Nystagmus und wie ich die Welt sehe

Ich bin sehend zur Welt gekommen. Seit meinem 22. Lebensjahr bin ich seheingeschränkt. Der Grund ist mein Nystagmus, eine Augenerkrankung. Ich habe ihn seit meiner Gehirnblutung 2012. Er verändert seitdem die Art, wie ich alles um mich herum wahrnehme.

Vorweg sei gesagt: Seheinschränkung ist nicht gleich Seheinschränkung. Das gleiche gilt für die Blindheit. Jede Sehbehinderung ist individuell, so wie es unterschiedliche Charaktere gibt.

Das bezieht sich übrigens auf alle Arten von Einschränkungen.

Also, was ist ein Nystagmus?

Ich beschreibe es gern als Augenzittern. Medizinisch gesehen kommt das von den Schäden der Blutung in meinem Gehirn.

Wie ich meine Umgebung wahrnehme:

Objekte ab einem Abstand von 3-4 Metern sehe ich so verschwommen, dass ich sie nur noch als unscharfe Flächen erkenne. Dies liegt aber je nach Tagesform an der Unruhe der Augen.
Objekte wie Schilder und Werbetafeln in 5-10 Meter Entfernung werden nur anhand von Formen und Farben erkennbar. Die Schrift jedoch kann ich nicht lesen. Um Schriften zu lesen, sind schon Abstände von zwei Metern problematisch.

Durch die verringerte Sehschärfe ist das Erkennen von Objekten bei mir erschwert. Das eingeschränkte Gesichtsfeld führt dazu, dass ich Bildobjekte nur bruchstückhaft erkenne. Aus diesem Grund muss ich zum Beispiel am Computerbildschirm oder am Handy Objekte extrem vergrößern, um Details zu erkennen, oder verkleinert, um das große Ganze zu sehen. Wie sich die Seheinschränkung im Alltag bemerkbar macht und wie sie Einfluss auf Orientierung und Wahrnehmung hat, erläutere ich euch anhand von Beispielen in einem weiteren Blogartikel.

Festival in vollem Gange!

Die Besucher strömen dem Sound entgegen, der vom Festivalgelände zu hören ist. Sie sind bunt gekleidet und super drauf – ganz anders als ich viele Menschen im Alltag erlebe. An fast jedem Essensstand, wo es Fritten, Wraps und sonstige Leckereien gab, stehen die Leute Schlange und warten voller Ungeduld bis sie an der Reihe sind.
Sonnenlicht dringt in jede einzelne Pore meiner Haut. Der Strohhut ist seit dem allerersten Festival mein treuer Begleiter.

Damals auf dem Happiness-Festival in Straubenhardt begegnete mir Jack. Ich saß im Rollstuhl wie jedes Jahr, wenn ich bei Festivals am Start bin. Im Normalfall bin ich zu Fuß unterwegs. Statt Blindenstock leiht mir meine Begleitpersonen die Schulter zum Festhalten. Seheinschränkung plus Gleichgewichtsprobleme das kann schon mal je nach Situation heikel werden.
Auf Festivals dient mir der Rollstuhl dazu, um schneller zu den Behinderten-Tribünen zu gelangen. Außerdem kann ich definitiv keine 2-3 Stunden am Stück stehen, während auf der Konzert-Bühne die Post ab geht.

Bei einem gemeinsamen Bier erzählte mir Jack von seiner Schwester, die das Down-Syndrom hat. Er ermutige sie immer wieder dazu, mehr raus zu gehen, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Aus dem Grund finde er es auch so toll, dass ich hier sei. Trotz Handicap, verstehe sich.
WIESO betonen die Normalos das immer? Denken die, es fühlt sich gut an, auf seine Behinderung reduziert zu werden?
Er hätte doch einfach sagen können: ,,Schön, dass du mitfeierst!‘‘

Erst Hirn einschalten und dann sprechen, ist wohl zu viel verlangt.

Der Duft von Pommes steigt in meine Nase, als mir Rina die Fritten auf den Schoß legt. ,, Kann’s losgehen?‘‘, fragt sie.
Die Frage reißt mich wieder aus meiner Gedankenwelt ins Hier und Jetzt.

Denn in diesem Moment sind wir auf dem Festival Rock am Ring. Also, los gehts!

Rina, die genauso ein Faible für Festivals hat wie ich, hat einfach alles im Griff. Sie sieht und hört alles.

Wir zwängen uns durch die Menschenmasse und bahnen uns den Weg in Richtung Behinderten-Tribünen. Auf dem gesamten Festivalplatz dröhnt Musik aus den Boxen, die breite Masse jubelt, betrinkt sich und ist in Feierlaune. Es ist herrlich!

Auf der Tribünen angelangt, schiebt mich Rina die Rampe hoch. Fast nur Rollifahrer vor Ort, die kaum was von der Bühne sehen und eher durch die Gitterstäbe blicken. Zumindest stelle ich es mir so vor.
Zum Glück kann ich mich frei bewegen und brauche nicht ständig im Rolli zu sitzen.

Es treten SDP auf die Bühne und heizen den Leuten erstmal richtig ein, bevor sie ihre Songs zum Besten geben.

Die Öffentlichkeit tobt, singt aus vollem Halse mit und bewegt sich zum Rhythmus. Von der Bühne sehe ich kaum etwas, selbst die großen Bildschirme, die rechts und links befestigt waren, bringen nicht viel.

Ich nehme ein paar Bildfetzen wahr, die Lichter vom Monitor und die Scheinwerfer, die die Bühne zum Leuchten bringen. Ich tanze im Tankt und lausche dem Klang der Stimmen von Vincent und Dag. Ich mag die Passage mit der tiefen Stimmlage von Dag am meisten, und Vincents Talent fürs Entertainment.

Unter anderem treten im Lauf des Festivals noch Alligatoah, Die Ärzte , Kontra K und andere auf.

Auf dem Festivalplatz sucheen wir uns ein schattiges Plätzchen, um der glühende Hitze für einen Augenblick lang zu entkommen.

Während Rina uns was zum trinken holt, beobachte ich das Treiben der Menschenmassen. Wobei ich nur den Teil regestrierte, der direkt vor mir in Sichtweite ist. Was sich rechts und links von mir abspielt, bemerke ich durch mein eingeschränktes Gesichtsfeld überhaupt nicht. Dazu muss ich dann wirklich meinen Kopf in die dementsprechende Richtung bewegen.

So sehe ich erst in letzter Sekunde den leicht angetrunkenen Kerl, der seine Hand ausstreckte und mir im Vorbeilaufen ein High Five schenkt.

Ich erschreckte mich. Rina kommt mit den Getränken in beiden Händen.

Entspannt trinken wir unsere Becher leer und wollen schon zum nächsten Auftritt, als ein Mädchen in Hotpants, die untenherum ganz ausgefranst waren, auf mich zukommt. An dem Tag trug ich ein zierliches Sommerkleid mit einem Mandala Muster das mit roten Blüten versehen war und dunkleblaue Punkte in der Mitte der Blüten hatten.

Das Mädchen bittet darum, ein Foto von mir, ihr und Rina machen zu dürfen. Ihr Freund schnappt sich die Kamera und schießt ein Bild von uns dreien. Das Mädchen bedankt sich und zieht mit ihrem Freund weiter.

Ich nehme solche Dinge erst wahr, wenn Rina mich darauf aufmerksam macht, oder wenn die Person direkt vor mir steht und mich anspricht. Wenn die Person zum Beispiel von links kommt, sollte sie sich erst mal ankündigen, sich mit Namen vorstellen – und dann können wir ins Gespräch kommen.

Nach einigen Konzerten geht es ein letztes Mal in Richtung Zeltplatz.

Statt sich die Kante zu geben, gibt es alkoholfreie Getränke. Im Hirn hab ich eh schon nen Knacks – und Epileptiker-Medikamente plus Alkohol ist auch keine coole Sache.

Die Euphorie geht trotz allem nicht verloren. Die Leute in ihrem Rausch in ihren Zelten zu beobachten, wie sie saufen, torkeln, kotzen ist im nüchternen Zustand viel amüsanter.

Das bekommt selbst so ein Blindfisch wie ich mit.
Rina schildert ja teilweise das Geschehene im Einzelnen.

Das erinnert mich an das Southside Festival 2018.
Kein Plan, welche Band damals gespielt hat. Es gab auf jeden Fall ausgiebig Pizza. Während Rina was zum Bechern besorgte, verlor mein Gesicht immer mehr Farbe und mir wurde hundeelend. Ich musste brechen. Rina, die mittlerweile wieder bei mir war, holte einen der Sanitäter. Der war so schlau und erkundigte sich bei Rina, wie es mir ginge, und hilflos stellte er die Frage, was er denn machen solle. Rina verschränkte die Arme und wies mit einem strengen Blick darauf hin, mich gefälligst selber zu fragen, denn ich war schließlich ansprechbar.

Er stellte dieselbe Frage an mich und ich meinte bloß, dass ich aus der Menschenmasse raus wollte. Rina schnappte sich den Rollstuhl, und wir ließen den anscheinend komplett überforderten Sanitäter hinter uns.
Runter von der Tribühne musste ich plötzlich auf die Toilette. Ein Mann der hackedicht war, nuschelte wie leid es ihm tue, das sein Kumpel die Behinderten-Toilette blockierte. „Bin ich denn hier von Vollidioten umgeben?“, dachte ich mir in meinem so oder so bereits schlechten Zustand. Die Leute räumten den Weg frei und nach dem ganzen Durcheinander waren wir endlich abseits von der Menschenmenge.

Am Tag darauf lachten Rina und ich darüber. Wir scherzten, was für gute Sanitäter wir doch wären, und dass dieser Depp von gestern anscheinend seinen Beruf vollkommen verfehlt hat.

Zurück zum Festival Rock am Ring.

Wir lassen den letzten Abend gechillt ausklingen und am nächsten Tag brechen wir schwermütig unsere Zelte ab, verstauen das Gepäck im Auto und fahren nach Hause.

Jetzt, nach der Corona-Pandemie, hoffe ich, dass ich am 2.7.2022 auf das Tollwood-Festival nach München gehen kann.

Kein Lebewohl

Die, die mir am nächsten stehen, sind so nah und doch so fern.
Zerreißen meine Träume in Stücke.
Es juckt mich nicht.

Von Vertrauen nicht die Spur.
Ist mir so was von egal, denn ich bin unangreifbar.

Der Schmerz sitzt tief,
das Herz pocht laut.
Jaulend wie ein Wolf leide ich vor mich hin.

Bin gescheitert bei dem Versuch mein Bestes zu geben, doch gegen eure Mauer komm ich nicht an.

Kein Lebwohl.
Kein Abschiedsbrief.
Kein Telefon, das klingelt.
Nur ein Post-it am Kühlschrank mit den Worten „Ich bin auf und davon“.

Ihr philosophiert über mein Leben,
zerlegt es in Teile.
Ganz gleich was geschieht, im Vergleich zu den anderen kann ich auf euren Zuspruch lange warten.

Kein Lebewohl.
Kein Abschiedsbrief.
Kein Telefon, das klingelt.
Nur ein Post-it am Kühlschrank mit den Worten „Ich bin auf und davon“.

Ihr seid der Ansicht mich zu kennen, doch mein wahres Wesen bleibt verborgen.
Zuneigung spiegelt sich in materiellen Dingen.
Doch all das ist nichts wert, wenn ich die Liebe nicht spür.

Ihr nehmt mir den Atem, stutzt mir die Flügel.
Ich ringe nach Luft,
treibe in einem Wirbel im Ozean und ohne, dass ihr es merkt,  bin ich aus eurem Leben verschwunden.

Lass es Konfetti regnen, denn jetzt komm ich.
Ab sofort mach ich mir meine eigenen Regeln.
Lass alles hinter mir,
denn in diesem Augenblick fängt mein neues Leben an.

Kein Lebewohl.
Kein Abschiedsbrief.
Kein Telefon, das klingelt.
Nur ein Post-it am Kühlschrank mit den Worten „Ich bin auf und davon“.