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Meine Gehirnblutung

Ich habe euch bereits reichlich über meine Seheinschränkung berichtet. Die Auswirkungen im Alltag oder wenn ich unterwegs bin. Doch nun erzähle ich euch von meiner Gehirnblutung. Der Auslöser, der alles veränderte, mir mein altes Leben nahm und mir ein neues Leben schenkte.

Kapitel 1: Was sind Kavernome?

Wie jeden Morgen saß ich gemeinsam mit meiner Familie am Tisch um zu frühstücken. Damals war ich 8 Jahre alt. Absolut unerwartet begann mein Mundwinkel zu zucken. Meine Eltern machten sich Sorgen und fuhren ziemlich aufgebracht  mit mir ins Katharinenhospital in Stuttgart. Bei einem MRT wurde dann herausgefunden, dass sich mehrere Kavernome in meinem Gehirn befinden.  Eines der Kavernome blutete, was  das Zucken des Mundwinkels verursacht hatte.

Letzten Endes verbrachte ich nach meiner ersten Gehirnblutung 3-4 Wochen im Krankenhaus. Anschließend ging der ganz normal Schulalltag  weiter. Zu diesem Zeitpunkt war ich in der dritten oder vierten Klasse. Wenn ich ehrlich bin, erinnere ich mich kaum noch an Einzelheiten. Damals habe ich die Diagnose und das Ganze drumherum noch nicht so realisiert wie jetzt im Erwachsenenalter. Was Kavernome sind und was sie für Risiken  mit sich bringen, ist mir erst im Teenager-Alter klar geworden.

Kavernome sind Blutgefäßmissbildungen aus dünnwandigen, venösen Hohlräumen (Kavernen). Die Größe von Kavernomen kann von wenigen Millimetern bis zu mehreren Zentimetern variieren.

Bei einer Einblutung im Hirnstamm so wie bei mir, müssen Risko und Nutzen einer Operation besonders sorgfältig abgewogen werden.  In meinem Fall führte kein Weg an der Operation vorbei.

Aus diesem  Grund war die präzise Planung von entscheidender Bedeutung.

Die Symptome können sehr vielfältig sein. Viele Kavernome werden  durch Krampfanfälle symptomatisch. Neurologische  Defizite wie z. B. Lähmungen, Sensibilitäts-, Sprach-, Gleichgewichts- oder Sehstörungen können ebenso auftreten.

Wenn Kavernome stärker bluten, werden auch akute Kopfschmerzen beklagt.

Im November  2012, ich war damals 22 Jahre alt, stand meine OP an. Diese war notwendig, um den Druck von meinem Hirn zu nehmen, der für das Schwindelgefühl und die  Schmerzen verantwortlich war. Es gab keine andere Möglichkeit. Soweit ich mich erinnern kann, gab es gab es nicht dieses eine aufklärende Gespräch mit meinen Eltern über meinen Gesundheitszustand. Durch viele Gespräche mit meinen Eltern und den längeren Aufenthalt im Krankenhaus sowie die regelmäßigen Kontrolltermine – sprich MRT und Neurologie – kam die Aufklärung von selber. Je älter ich wurde, umso mehr Klarheit bekam ich. Die Diagnose Kavernome war zu Anfang ein Schock für mich, und die Vorstellung, dass die Kavernome mich mein Leben lang begleiten werden, auch.

Ich hatte ab sofort den Gedanken im Hinterkopf, dass jederzeit eine neue Blutung eintreten kann. Dieser Gedanke  jagt mir heute noch hin und wieder Angst ein. Die Kavernome sind so was wie eine tickende Zeitbombe, die jederzeit hochgehen kann. Im Alltag denke ich so gut wie nie darüber nach. Wenn ich an meine Zukunftspläne denke oder meine Kontrolltermine habe, wird mir das Ganze erst wieder richtig bewusst und es braucht ein paar Tage, bis das Gefühl der inneren Angst wieder vergeht.

Mein Leben von den diagnostizierten Kavernomen kontrollieren zu lassen, macht für mich keinen Sinn. All das hindert mich nicht daran, an meinen Zielen und Träume festzuhalten. Ich gehe seither mit dem Thema Gesundheit vollkommen anders um. Ich ernähre mich vegan und rauche nicht und trinke keinen Alkohol. Gerade Alkohol würde das Risiko für  eine neue Gehirnblutung erhöhen, und da mein Hirn eh schon ’nen Schaden hat, lass ich es lieber ganz bleiben. Vor allem kann ich seit meiner Gehirnblutung nicht nachvollziehen, wie manche Leute mit ihrer Gesundheit und ihrem Körper umgehen.

Kapitel 2: Die dritte Gehirnblutung

Ich befand mich gerade im Probehalbjahr meiner Fachhochschulreife, als die Schwindelgefühle sich bei mir bemerkbar machten. Durch meine vorherigen OPs, die ich mit 8 Jahren und einmal im Alter zwischen 11 und 12 hatte, ahnte ich es schon.  Also ging es ins Katharinenhospital in Stuttgart. Die Ärzte dort kannten mich bereits, und nach einem Kernspin, auch MRT genannt, war die Ursache klar. Der Arzt verkündete mir, dass eine Hirnblutung im Stammhirn vorliegt.

Doch was genau bedeutet das jetzt?

Bei einer Hirnblutung sammelt sich Blut im Kopf an, und je mehr Blut, desto größer der Hirndruck, da sich der knöcherne Schädel nicht ausdehnen kann. Durch den Druck wird das Gehirn gequetscht und feine Gefäße werden abgedrückt.

Zu Beginn wurde also eine medikamentöse Behandlung versucht. Ziel war es, die Schwellung zu reduzieren, damit der Hirndruck nachlässt. Zwei Stunden später saß ich mit meiner Mutter am Esstisch und bekam erstmal richtig das Heulen. In dem Moment fiel die komplette Anspannung von mir, und ich fing an zu realisieren, was eigentlich los war.

In den darauffolgenden Tagen nahm der Schwindel zu und der Druck war so hoch, dass ich noch nicht mal meinen Kopf beim Haarewaschen unten halten konnte. Als ob mein Kopf in einem Drehschraubstock liegen würde. Zu allem Überfluss fuhr uns der Krankenwagen, den wir schließlich riefen, ins falsche Krankenhaus, wo unnötige Untersuchungen von Ärzten gemacht wurden, die nicht im neurologischen Bereich tätig sind. Das Krankenhaus hatte schließlich keine neurologische Abteilung, die auf Blutungen von Kavernomen spezialisiert war. Schlussendlich sind wir dann doch im Katharinenhospital in Stuttgart angelangt.

Zwei oder drei Tage später war dann die OP angesetzt. Beim Aufklärungsgespräch  vom Narkosearzt wurde mir etwas mulmig zu Mute. Mit gesenktem Kopf saß ich im Rollstuhl, als  der Arzt, der die OP durchführen sollte, sich nach meinem Wohlbefinden erkundigte.  Zwar war ich aufgrund des unerträglichen Hirndrucks nicht in der Lage meinen Kopf aufrecht zu halten, um ihm in die Augen zu schauen, allerdings brach die Frage aus mir heraus: „Können Sie mich einschläfern?“

Am Tag darauf wurde ich in den OP geschoben.

Kapitel 3: Das Resultat

Nach der OP lag ich lange Zeit im Aufwachraum. Laut meiner Familie haben sich die Ärzte bereits Sorgen gemacht, da sie nicht davon ausgegangen sind, dass ich mich nach dieser langen und schweren Operation nur so langsam erholen würde. Als ich dann endlich langsam wieder zu mir kam, war auch mein älterer Bruder erleichtert, der den Tränen schon sehr nahe gewesen war. Ich fühlte mich wie in rosa Zuckerwatte gepackt. Schläuche um mich herum sowie Ärzte, die ich in meinem benommenen Zustand nicht richtig wahrgenommen oder registriert habe. Immer noch benommen, wurde mir der Beatmungsschlauch allmählich aus dem Hals entfernt. Als ich mich in kleinen Schritten von der Narkose erholte und wieder anfing zu essen, wurde mir so schlecht. Ich konnte keine Mahlzeit bei mir behalten. War das unangenehm, mich vor der Familie zu übergeben. Wie ich später erfuhr, hatte sich eine Art Blutschwamm  gebildet, und der übte  Druck auf das Gehirn aus.

Es kam also wie es kommen musste. Ich war gezwungen, erneut eine Gehirn-OP über mich  ergehen zu lassen. Dieses Mal wurde ein Bohrloch gesetzt, um einen Schlauch einzuführen, damit das Blut in einen Beutel abfließen konnte.  Endlich war ich in der Lage, das Essen in mir zu behalten. Durch die beiden OPs ging es mir zwar besser, allerdings war mein Sehvermögen eingeschränkt. Zu allem Überdruss musste ich über Nacht einen Uhrglasverband tragen, damit das Auge durch den fehlenden Liedschluss nicht austrocknete. Ein  Uhrglasverband ist ein spezieller Augenverband, der das Auge vor Infektionen schützt sowie vor dem Austrocknen. Dieser Verband besteht aus einer durchsichtigen Kunststoffkappe, die an ein Uhrglas erinnert. Um dieses Kunststoffkappe herum ist ein Pflasterverband befestigt. Am schlimmsten war für  mich, dass ich nicht mehr gehen konnte. Zusätzlich kam die Spastik am linken Arm dazu und Gesichtslähmung auf der rechten Seite. die Gesichtslähmung war für mich am unproblematischsten.

In der Reha besuchte ich eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BvB), beides fand im Hegau-Jugendwerk in Gailingen statt, wo ich  1 1/2 Jahre lang war. Die Ärzte ermutigten mich, dass sich mein Zustand mit viel Ehrgeiz und Willen verbessern kann. Inwieweit dies möglich ist, wollten sie nicht sagen. Wäre auch schön dumm, wenn sie sich festlegen lassen. Am Ende, wenn es dann doch nicht so ist, haben sie eine Klage am Hals. Während der Zeit in der Reha kristallisierte sich nach und nach heraus, in welchem Bereich Entwicklungspotenzial vorhanden war.

Die Spastik blieb zwar, dafür ist der Arm lockerer geworden und die Muskulatur stabiler. Die Grobmotorik funktionierte, die Feinmotorik ist bis heute  problematisch. Die größte Entwicklung wurde beim Laufen festgestellt. Heute ist der Rollstuhl Vergangenheit. Was die Seheinschränkung betrifft, gab es keine große Veränderung, außer dass ich nach 3 Jahren Augenklappe und 9 Augen OPs die Augenklappe endlich nicht mehr benötige. Die Gesichtslähmung blieb, allerdings gehört sie zu den Einschränkungen, die mich so gut wie gar nicht behindern. Während der 3 Wochen Klinikaufenthalt lag ich entweder im Bett oder besuchte mit meinen Eltern den Kiosk.

Gerade die Anfangszeit in der Reha war hart. Die jetzige Situation zu akzeptieren, Unterstützung beim Toilettengang, Duschen und Anziehen erstmal anzunehmen. Sobald ich die Tatsache akzeptierte, begann ich mehr auf Leute zuzugehen sowie zu kämpfen, und ich verspürte den Drang etwas zu ändern.

Kapitel 4: Anders sein

Reha Aufenthalt und die Rückkehr in ein neues Leben.

Mit dieser Einstellung ging ich motiviert in die Therapien rein.

Ich machte wirklich alles mit. Muskelaufbau der Beine, Gleichgewichts- und Ausdauertraining am Laufband, Ergometer und sogar für Schwimmen fand ich eine neue Leidenschaft. Einmal band mir die Physio-Tehrapeutin ein Seil um meine Taille, mit dem sie mich wie einen Hund an der Leine führte. Der Beweggrund dafür war, dass ich zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht richtig das Gleichgewicht halten konnte und die Gefahr bestand, dass ich beim Gehen stolpere. Damals trug ich noch einen Gips, der mein Bein stabilisierte.  Auch wenn ich mir wie ein Köter vorkam, ich machte mit. Nach über einem halben Jahr sah vieles bereits anders aus. Statt im Rollstuhl zu sitzen, lief ich am Rollator, die Ausdauer war wesentlich besser und ich konnte mich leichter mit meinen Einschränkungen arrangieren.

Im Laufe der Zeit hatte ich 9 Augen-OPs und konnte erst nach 3 Jahren endlich ohne Augenklappe rumlaufen. Klar, der Nystagmus bleibt, aber das Augenlid konnte sich wieder schließen. Nachts Bepantensalbe, tagsüber Augentropfen zum Ersatz der Tränenflüssigkeit, und das war’s. Für mein Empfinden ist das ein gigantischer Fortschritt.
Trotz des Fortschrittes gibt es einiges, was sich verändert hat. Statt im Haushalt mit anzupacken, gebe ich Anweisungen. Kommunikation hat eine ganz neue Bedeutung für mich gewonnen. Es fallen mir viele Dinge auf, die für die meisten selbstverständlich sind und ich betrachte so manches aus einem anderen Blickwinkel.
Wofür ich dankbar bin.

Auf die Vorurteile und die ständige Rechtfertigung für meinen Unterstützungsbedarf könnte ich aber wirklich verzichten. Sei es von Fremden oder den eigenen Familienmitgliedern, die einen selbst therapieren wollen. Und sie meinen, stets zu wissen, was alles zu funktionieren hat und was nicht – anstatt mir einfach zu vertrauen, dass ich selbst weiß, wo Unterstützung notwendig ist und wo nicht. Anders ausgedrückt: mich so zu akzeptieren, wie ich bin, und nicht ständig mit Ratschlägen und Tipps zu kommen. Selbst dann, wenn Sie es bloß gut meinen.

Kapitel 5: Was nun?

Derzeitig finden regelmäßig Physio- und Ergotherapie statt, um das Level zu halten. Privat gehe ich Wandern und zweimal die Woche Schwimmen, sofern ich die passenden Begleitpersonen habe. Zusätzlich habe ich in regelmäßigen Abständen Kontrolltermine bei meiner Neurologin, MRT und bei meinem Augenarzt.

Die Kavernome werden mir immer bleiben – und mit ihnen das Risiko einer erneuten Hirnblutung.

Mit Seheinschränkung leben: Diese Hilfe brauche ich im Alltag

Ich lebe seit 2012 mit einer Seheinschränkung, einem sogenannten Nystagmus. Ich habe euch schon erklärt, was das ist, wie mein Sehen dadurch eingeschränkt ist und wie ich mich seit der  Seheinschränkung in meiner Wohnung organisiere. Bei vielem, was ich machen möchte, benötige ich Hilfe – vor allem, wenn ich unterwegs sein will. Was ist also die Aufgabe der Person, die mich im Alltag und auf Tour begleitet? Hier einige Tipps, die für Euch im Umgang mit seheingeschränkten Menschen vielleicht auch hilfreich sein können. Wobei es am besten ist, immer zu fragen, welche Hilfe auch erwünscht ist.

Sei es beim Arztbesuch, auf Reisen, beim Museumsbesuch oder auf größeren Veranstaltungen – es sollte der Begleitperson bewusst sein: Mich zu begleiten, ist mit Arbeit und Verantwortung verbunden, auch wenn es sich um Freizeitaktivitäten handelt.

Immer, wenn es rausgeht, bin ich auf Teamwork angewiesen:

Unterwegs mit Bus und Bahn:

Wenn ich unterwegs bin, verlangt meine Seheinschränkung den Assistenten einiges ab – aber selbst wenn mal was nicht so läuft, wie es soll, versuche ich es mit Humor zu nehmen. Vor allem Bus und Bahn werden für mich zur Wackelpartie. Meine Begleitung muss für mich nach einem Platz Ausschau halten und mir sagen wo ich mich festhalten kann. Bei diesem Tehma muss ich an eine Bahnfahrt auf der Reise nach Wien denken. Oft muss es schnell gehen, die Bahn war in diesem Fall nicht so nett, zu warten bis ich mich hingesetzt habe – ich bin ruckartig in den Sitz gefallen. Einmal bin ich sogar beinahe auf die Person gestürzt, die mir gegenüber saß. So oft wie dort in den öffentlichen Verkehrsmitteln hatte ich schon lange nicht mehr den Halt verloren.

Unterwegs mit dem Auto:

Wenn ich mit Assistenten im Auto unterwegs bin, dann ist das für mich komfortabler. Aber auch hier ein Beispiel, wo trotzdem Probleme entstehen können. Wir sind auf dem Weg zu einem Treffen, Termin oder zu einer Veranstaltung. Wenn ich schon ausgestiegen bin und die Begleitperson bemerkt, dass sie noch einen Parkschein lösen muss, dann sollte sie mir das mitteilen, bevor sie geht. Und sie sollte dafür sorgen, dass ich mich entweder setzen oder irgendwo so lange festhalten kann bis sie wieder kommt.

Unterwegs zu Fuß:

Wenn wir zu Fuß unterwegs sind, ist Kommunikation elementar. Denn ich kann es nicht ausstehen, wenn aus heiterem Himmel an mir gezogen wird. Ich muss und möchte erst einmal wissen, was los ist. Sagt mir zum Beispiel, dass ein Auto entgegenkommt, das ich nicht sehe. Oder sagt mir, dass wir abbiegen müssen. Oder dass ihr mir etwas zeigen möchtet. Ihr habt einen Mund zum Reden, also benutzt ihn auch. Kommt nicht mit solchen vagen Aussagen wie „Da kommt ein Auto“, „Hier lang“, „Da hin“ oder – noch schlimmer – mit Schweigen. Wichtig ist, dass ihr die Umgebung für mich genau betrachtet und mögliche Stolperfallen für mich erkennt. Das könnte sein: ein nicht rangerückter Stuhl, eine Teppichkante, Stufen, der Bordstein oder ein sonstiger Absatz, Wurzeln oder Steine auf dem Weg.

Aber es gibt noch viel mehr Punkte in meinem Alltag, an denen ich Hilfe brauche. Und Verhaltensweisen, auf die ich besonders viel Wert lege:

Beschreibung meines Umfeldes bei Gefahr:

Wenn ihr mich warnen wollt, dann reicht es nicht „Vorsicht, pass auf“ zu sagen. Wenn ich so was höre komme sogar ziemlich schnell ins Schwanken, weil ich verunsichert bin. Die Angaben sollten möglichst präzise sein. „Vor dir kommt eine Stufe“, „Links von dir möchte eine Person vorbei“, „Direkt hinter dir steht ein Einkaufswagen“ – damit kann ich was anfangen. Und immer gilt: Beschreibe mir, was Du siehst.

Beschreibung eines Weges:

Die Seheinschränkung brachte mir die erschreckende Erkenntnis, dass die Sehenden richtig mies darin sind, Wege so zu beschreiben, damit ich was damit anfangen kann. Bei Wegbeschreibungen ist es wichtig für einen Seheingeschränkten, zu wissen, dass er oder sie auf dem richtigen Weg ist. Makante Anhaltspunkte sind dabei sehr hilfreich. Das kann eine Baustelle, ein Dornenbusch, eine Kirche oder ein Geschäft sein.

Beschreibung von sehenswerten Besonderheiten:

Sehenswürdigkeiten oder Kunst im Museum zu beschreiben ist noch einmal schwieriger. Aber versucht es. Ihr schenkt der seheingeschränkten Person einen großen Mehrwert damit. Der Besuch in einem Museum oder eine Reise gewinnt an Qualität und ihr selbst lernt noch etwas dazu. Ohne genaue Beschreibungen sind Museumsbesuche oder Fahrten zu Sehenswürdigkeiten aus meiner Sicht sonst reine Zeitverschwendung für mich.

Unterstützung bei schriftlicher Kommunikation:

Zu meinen Alltag gehört wie bei jedem anderen Menschen schriftliche Kommunikation. Wer mich kontaktieren möchte, sollte das am besten über WhatsApp oder per Mail tun. Dort habe ich die Möglichkeit, den Text zu vergrößern. Für weiterleitete Dokumenten per Mail sind PDF-Dateien für mich am praktischsten. Falls nur ein Blatt Papier in greifbarer Nähe ist, um schriftlich etwas festzuhalten, dann am besten groß, in Druckschrift und mit einen dicken Filzstift schreiben.

Orientierungshilfe bei Veranstaltungen:

Meine Assistenz teilt mir mit, wenn ihr den Raum betretet oder das Gespräch verlässt. Fragt mich, wo ich sitzen möchte, beschreibt mir den Raum und die möglichen Sitzplätze.

Gibt es noch weiter Punkte?

Die Assistenz ist also so gut wie immer meine Begleitung. Aber trotzdem möchte ich selbst wahrgenommen werden. Fangt nicht an, Fragen an die Assistenz zu stellen, die eigentlich an die Person mit Behinderung gerichtet sind. Das empfinde ich als dermaßen respektlos. Es gibt mir das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Es ist, als ob ich nicht existieren würde. Gleichzeitig solltet ihr der Assistenz Wertschätzung entgegenbringen.

Wie ein Trip nach Berlin mich verändert hat



Von Weitem erblickte ich, wenn auch unscharf, die Siegessäule von Berlin. Den Kopf aus dem Autofenster gestreckt, kamen wir der Großstadt näher. Ich war voller Vorfreude und konnte es kaum erwarten, die Stadt zu erkunden. Dietrich (Name geändert) parkte das Auto 10 Minuten vom Hotel entfernt und holte das Gepäck aus dem Kofferraum. Dietrich und ich kannten uns erst seit einem halben Jahr. Zwar waren wir zuvor schon öfter für mehrere Stunden unterwegs gewesen, doch dass er mich gleich mehrere Tage begleitet, ist für uns beide neu. Eine Reise, die also spannend werden dürfte.

Sightseeing in Berlin

Am darauffolgenden Tag klopfte es an meiner Zimmertür und Dietrich stand vor mir, um mich abzuholen. Behutsam legte ich meine Hand auf seine Schulter. Der Flur war gerade mal so breit, dass wir hintereinander laufen konnten. Also nahm ich meine Hand von der Schulter und stütze mich an der Wand ab. Unter den Füßen knarrten die Holzdielen. Sobald es uneben wurde, sagte Dietrich Bescheid oder half mir geschwind über die Erhöhung der Bodendiele hinweg. Typisch Altbau eben.

Draußen nahm ich den Tumult des Straßenverkehrs wahr.

 Meine Augen schweiften kontinuierlich hin und her, ich versuchte einen Eindruck der fremden Umgebung zu bekommen. Doch so war es mir unmöglich, ein klares Bild zu fassen.

Für fünf Tage sollte Dietrich mich nun durch Berlin begleiten und den Fremdenführer spielen. Deutschlands Hauptstadt wartete darauf, von uns erkundet zu werden.
 
Fest eingehakt bei Dietrich lief ich über die Straße. Auf den Verkehr sowie die Ampeln brauchte ich nicht zu achten. Genauso wenig auf die Bordsteinkanten. Als Begleitperson war das unter anderem sein Job, mich darauf hinzuweisen.

Erster Stopp, eine Schiffsfahrt über die Spree. Doch zuvor mussten wir ein kurzes Stück mit dem Bus fahren. Da ich weder den Busfahrplan noch vorn die Anzeige der Busse lesen konnte, nahm mir Dietrich diese Aufgabe ab. Als der Bus vor uns hielt, ging Dietrich einen großen Schritt voran, hielt mich dabei immer noch fest, und ich machte es ihm nach. Dietrich räumte den Weg frei auf der Suche nach einem Sitzplatz.

Wenig später stupste mich jemand von der Seite an. Es war Dietrich, der mir zu verstehen gab, dass wir jetzt an dieser Haltestelle auszusteigen haben.

Aus dem Bus draußen, blieben wir kurz stehen. Ich versuchte mich neu zu orientieren. Doch es dauerte viel zu lange bis meine Augen sich fokussierten und ein klares Bild entstehen konnte. 

Mit einem Mal zog Dietrich an mir und strecke den Arm Richtung Spree aus, wo das Schiff schon abfahrbereit stand. Wir setzen uns in Bewegung und die Menschen, die Straße, der Verkehr wurden unscharf.

Wir legten einen Sprint hin um noch rechtzeitig an Bord zu gehen. Dietrich griff nach meinem Geldbeutel und legte das Geld vor, plus Behinderten-Ausweis. 

Das war wirklich eine Erleichterung für mich, immerhin hatte er zwei funktionsfähige Arme – anders als ich. Durch meine Spastik am linken Arm funktioniert nur die Grobmotorik, die Feinmotorik fällt komplett weg. Der rechte Arm ist vollkommen funktionsfähig und gesund.

In kleinen Schritten ging ich die Wendeltreppe hoch an Deck. Rechts war ein Handlauf, an dem ich mich festhielt. Stufe für Stufe bewegte ich mich vorwärts. Mit dem rechten Fuß ging ich voran, das linke Bein, an dem die Schiene befestigt war, kam nach. Vor jeder Stufe wartete ich, bis ich das Gleichgewicht wieder erlangt hatte. Oben angelangt hielt ich mich an Dietrich fest. Er hielt nach zwei geeigneten Plätzen Ausschau.

 Inmitten der knallenden Sonne, die auf unsere Köpfe schien, hörte ich das Wispern der Spree in meinen Ohren. 

Im Laufe des Tages besichtigten wir auch noch den Fernseherturm, der unterm Strich nicht besonders erwähnenswert war. Trotz einer Höhe von 368 Metern. Dann besuchten wir das Brandenburger Tor sowie das Jüdische Museum. Vom ständigen Stehen, Laufen und wieder Anhalten vor einem Bild, sobald Dietrich mir vorlesen wollte, was darüber geschrieben wurde, taten mir die Füße weh.

Das kulinarische Berlin

In Berlin existiert eine Vielzahl von veganen Restaurants. Von süßen Donuts bei Brammibal’s Donuts bis zu asiatischen, mexikanischen sowie türkischen Kochkünsten. 

Ich liebe die vielen Möglichkeiten an veganen Restaurants. Dietrich las mir die Gerichte aus der Speisekarte vor oder schnitt mir das Essen klein, falls notwendig. 

Einen Besuch wert: Der ,,Xuan Markt“ im Bezirk Lichtenberg. Frei übersetzt wird der Markt auch als Frühlingswiese bezeichnet.
 
Ich für meinen Teil nahm nicht mehr wahr als das lebhafte Gewusel der Menschenmasse und die fernöstlichen Gerüche, die in meine Nase stiegen. 
Dabei waren wir noch nicht einmal in die sechs Hallen des Doung Xuan Center eingetreten, wo es alles geben sollte, was Asien exportierte. 

Beim Anblick der Hallen stürzten alle erdenklichen Eindrücke auf mich ein. Das fröhliche Gedränge, die warme Luft in den Hallen, das Schwätzen der Händler mit den Kunden und, nicht zu vergessen, die verschiedensten Aromen, die ich nicht richtig einordnen konnte.

 Schweigend schlenderten wir durch die Markthallen. Nur schwer fand ich mich zurecht, lose Bilder zogen an mir vorbei, so bekam ich nichts davon mit, welche asiatischen Lebensmittel es gab, und was noch angeboten wurde, von Textilien, Lederwaren, Kurzwaren, Technik über Uhren und Schmuck bis hin zu verschiedenen Dienstleistungen.

Ich war da und bekam doch wenig mit – mir fehlten Beschreibungen. Doch das wusste ich in dem Moment noch gar nicht – erst später merkte ich bei anderen Reisen mit erfahrenderen Assistenten, wie viel sie mir mit ihren Beschreibungen vermitteln können.

In Berlin haben wir außerdem einen richtigen Thai-Streetfood-Markt und Berlins beste Open Air Küche im Preußenpark besucht. Das Herz von Thailand sprach zu mir und führte mich an einen exotischen Ort voller neuer Gerüche. Es herrschte eine geräuschvolle Kulisse im Hintergrund. Dietrich sprach mit einer Freundin, die wir dort getroffen haben, bereits darüber, wie auf traditionelle Art thailändisches Essen vor Ort zubereitet wird.

In solchen Augenblicken komme ich mir manchmal echt fehl am Platz vor. Man selbst bekommt nicht mit, was es alles zu essen gibt, was für Menschen einen umgeben, ich bekomme manchmal in solchen Situationen gar nicht mit, ob mich jemand anspricht, ein Begleiter auf einmal woanders steht oder eventuell bereits gegangen ist. Und wenn ich es endlich gemerkt habe, ist der Moment schon vorbei.
Was ich seit meiner Seheinschränkung wahrnehme: Dass die Normalos Dinge selten gut, oft auch gar nicht beschreiben können. Mit Aussagen wie „rechts von dir auf dem Tisch steht die Flasche“, „links von dir steht der Jan“ oder „auf der anderen Straßenseite ist die Ampel rot“ kann ich was anfangen. Aber stattdessen höre ich Sachen wie „da hinten“, „guck mal, da lang“.

Mein Fazit:

Nur weil wir alle reden können, heißt das noch lange nicht, dass wir miteinander kommunizieren können. Jetzt aber zurück zum thailändischen Streetfood-Markt. Denn es ist doch noch Licht geworden, siehe da: Dietrich beschreibt, was es auf dem Markt für Leckereien gibt und als ich näher herantrat, erkannte ich sogar, wie die Verkäufer das Essen zubereitet haben. Noch schöner wäre es gewesen, wenn Dietrich es mir beschrieben hätte.

Die Treppen von Berlin

Den Treppen von Berlin war ich eher feindselig gesinnt. Nicht gerade sauber, verschmiertes Treppengeländer, und es gab nur sehr selten auf beiden Seiten einen Handlauf. An sich nichts Gravierendes, wenn man allerdings ohne Handlauf keine Treppen steigen kann, so wie ich, ist das ein großes Hindernis und schränkt einen in seiner Mobilität ein. Für den Fall, dass kein Handlauf vorhanden oder mir das Ganze zu schmuddelig ist, unterstützt mich gegebenenfalls meine Begleitperson. 

Das sieht dann folgendermaßen aus: 

Entweder halte ich mich an der Schulter fest und wir steigen die Treppen Stufe für Stufe, oder die Person legt den Arm hinter meinen Rücken und gibt mir erstens sicheren Halt und zweitens kann sie so schneller nach mir greifen, sollte ich das Gleichgewicht verlieren.

 Dies nimmt selbstverständlich mehr Zeit in Anspruch und so verpasst man die ein oder andere Bahn. 

Nichtsdestotrotz gelangt man wunderbar von A nach B.


Shoppen bei Räucherstäbchen-Duft

Wir trafen uns in Berlin mit Rina (Name geändert), die dort ein Praxissemester absolviert. 

Da Dietrich zum Shoppen nicht besonders hilfreich ist, schickten wir Mäddels den Mann zum Frisör und anschließend zum Kaffeetrinken.

 Im Guru Shop am Prenzlauer Berg ließen wir uns inspirieren von einer Riesenauswahl an schönen Dingen aus aller Welt. Wenn ihr mal dort seid: Taucht ein in schimmernde Farben aus Indien, Thailand und Indonesien. Möbel, Leuchten, Heimtextilien, Bekleidung, Dekoration, Schmuck und mehr. 

Klingt das gut in euren Ohren? Dann lasst uns shoppen!
 Ich sah allerdings nur leuchtende, zusammenhanglose Farben, nur vage Schattenrisse aus der Ferne, war ohne Orientierung und hatte den Geruch von Räucherstäbchen in der Nase.

 Näher ins Licht getreten, verschaffte ich mir bis zu einem gewissen Grad einen Überblick. Alles, was in geringer Entfernung lag, war für mich gut sichtbar. Doch alles, was auf großer Distanz lag, war für mich schwer ersichtlich.

Rina zeigte mir ein lilafarbenes Bandeau-Top, ein Neckholder im Lagenlook. Sie stöberte noch nach einer oder zwei blauen Leggings und hängte mir alles in die Umkleide.

 Wenn ich Klamotten anprobiere, läuft das so ab: Mit den linken Arm wird das Oberteil festgehalten und der linke Arm hilft beim Aus- und Anziehen. Der Aufwand hat sich gelohnt, ich verließ den Laden mit einer vollen Einkaufstasche.

Chillen in der Natur mitten in der Großstadt

Wir nutzten das wunderschöne Wetter aus und trafen uns mit Josie etwas außerhalb von Berlin an einem Badesee. Josie war die erste Studentin, die im Wohnheim als Ehrenamtliche kennengelernt habe.
Die Sonne strahlte durch die Bäume, und dennoch spendete uns die Natur ausreichend Schatten. Mit Picknickdecke und Essenskorb im Gepäck spazierten wir an einer schmalen Lichtung entlang. Der weiche Boden unter mir besaß ganz kleine Wurzeln, wodurch ich ab und an verstärkt Druck beim Abstützen auf Dietrichs Schulter ausübte. Am Ufer des Sees angekommen, konnte ich es kaum erwarten die Schuhe loszuwerden, um den warmen Sand unter meinen Füßen zu spüren. 
Der Boden unter mir ließ nach, und Dietrich führte mich zur Stelle, wo Josie bereits die Picknickdecke aufgeschlagen hat und sich im Badeanzug von der Sonne brutzeln ließ.

Dietrich stand breitbeinig vor mir, hielt mich mit beiden Armen fest und half mir so, mich auf den Boden zu setzen. Ich entledigte mich meiner Kleider, stand mit Hilfe von Dietrich auf, der mir den Schwimmgurt um meinen Bauch befestigte. Schwimmbrille auf, und dann ab ins Wasser. Nachdem wir uns beim Schwimmen abgekühlt haben, chillten wir bis zum Spätnachmittag am Strand und aßen unsere Snacks.

Meine Tipps für Euch:

  • Vegane Donuts bei Brammibal’s: Diesen Laden gibt es mehrmals in Berlin und er bietet absoluten Hochgenuss für alle Süßigkeiten-Junkies.
    brammibalsdonuts.de
  • Der Thaipark: Hier könnt ihr bei der Zubereitung asiatischer Gerichte zusehen. Selbst wer seheingeschränkt ist, schwebt durch ein Meer von Gerüchen.
    thaipark.de
  • Farbig und bunt – wer sich neu einkleiden möchte und keine Angst vor einem leuchtenden Auftritt hat, kann hier herrlich shoppen. Es gibt nicht nur Klamotten, sondern auch Möbel und Deko. Schöne Einzelstücke können Eure Wohnung aufwerten. Im Laden wird man von der Menge besonderer Möbelstücke aber fast erschlagen. www.guru-shop.de

Mein Fazit:

Berlin war für mich eine Wahnsinns-Stadt. Ich hätte allerdings mehr an Erfahrung mitgenommen, wenn der Reiseleiter Dietrich vieles besser berichtet und beschrieben hätte. Ob Berlin eine Reise wert ist? Auf jeden Fall!

Vor Berlin hab ich mich sehr zurück gezogen und wollte kaum raus. Dies hat sich nach Berlin schlagartig geändert. Ich gehe viel beschwingter durchs Leben und bin mit Neugier erfüllt, mit einem Wissensdurst, den ich vorher noch nicht kannte.

Jeder Veganer, der sich nach Leckereien ohne langes Studieren von Speisekarten sehnt, sollte auf jeden Fall nach Berlin fahren.

Aus diesem Grund hat Berlin eine so große Bedeutung für mich! Am liebsten würde ich sofort dort hinziehen.